Im Haus von Arnouds Großmutter scheint die Zeit seit Jahrzehnten still zu
stehen. Wasser wird in der Küche gepumpt, warmes Wasser im Topf auf dem Herd
erhitzt. Der dreizehnjährige Arnoud und sein Vater sind zur Beerdigung der
Großmutter in das kleine belgische Dorf Deemstervelde gekommen. Ein Dorf wie
aus dem Bilderbuch, wo jeder jeden kennt, jeder über jeden tratscht und jeder
bereits die Großväter seiner Nachbarn gekannt hat. Ein Dorf wie ein Staubkorn
auf dem Globus. Bei der Trauerfeier schweift Arnouds Blick ab zu einer
Gedenktafel an der Kirchenwand: Sie erinnert an zehn Männer aus dem Ort, die
während des Zweiten Weltkriegs von den Deutschen exekutiert wurden. Darunter
ein Arnoud de Vriendt. Arnoud ist verblüfft; doch es ist nicht sein Name, es
ist der seines Großvaters. Oma Irma hatte also über 50 Jahre in Deemstervelde
als Witwe gelebt und ihren Sohn allein aufgezogen. Arnouds verblüffende
Ähnlichkeit mit seinem Großvater weckt Erinnerungen an früher und setzt
allerlei Dorfklatsch in Gang. Arnouds Vater beginnt, den Haushalt der
Großmutter aufzulösen, damit ihr Haus verkauft werden kann. Arnoud hatte sich
unter Ferien eigentlich etwas anderes vorgestellt. Doch ein Testament, das
Vater und Sohn finden, ist der Auftakt zu spannenden Abenteuern, deren Auslöser
die mehr als fünfzig Jahre zurückliegenden Ereignisse um Arnoud den Älteren
sind. Großmutter Irma hat Arnoud dem Jüngeren ihren Nähkasten und ihre
Gemälde vererbt. Im Nähkasten findet er zwei dicke Briefe, die ausdrücklich
nur an ihn gerichtet sind. Von der gleichaltrigen Rebecca und ihrem
Eulenschutz-Projekt immer wieder abgelenkt, erfährt Arnoud schließlich aus
Irmas Briefen, was sie bis zu ihrem Tod verschwiegen hat.
Jan de Leuw erzählt seine spannende Geschichte im bissigen Ton eines
Jugendlichen, der schon den eigenen Vater steinalt findet, von der Großmutter
ganz zu schweigen. So wie Oma Irma fünfzig Jahre lang Erinnerungsstücke
aufhäufte, ohne je etwas wegzuwerfen, kann auch der Sohn sich nicht
überwinden, Irmas Nachlass ungelesen wegzuwerfen. Doch erst Arnoud kombiniert
Bruchstücke von Informationen zur Geschichte seiner Großeltern und setzt sich
mit der Schuld der Dorfbewohner auseinander.
Fazit
Arnouds trockenen Ton und die ungeschminkte Darstellung in Irmas Briefen
zeichnet der Autor treffend und humorvoll. Arnouds Vater, der kaum noch Kontakt
zu seiner Mutter hatte, der mit Dokumenten und Erinnerungsstücken, aber ohne
Antworten zurück bleibt, kann stellvertretend für eine ganze
Nachkriegsgeneration stehen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 27. Januar 2007 2007-01-27 17:37:26