Leser von Fantasyliteratur haben es nicht immer leicht: Oft schütteln viele
Leute den Kopf über Bücher, in denen von Fabelwesen und mythischen Helden die
Rede ist. Wer sich genauer mit dem Genre beschäftigt, wird die enorme
Bandbreite erkennen, die von recht billigen Geschichten über Harry Potter bis
zur High-Fantasy reicht. Letzere nimmt für sich in Anspruch, durchaus
anspruchsvollere Geschichten zu erzählen. In den letzten Jahren erlebte die
High-Fantasy eine regelrechte Renaissance: Speziell seien Autoren wie
George R. R. Martin ("A Song of
Ice and Fire"), Robin Hobb ("Farseer", "The Tawny Man"
etc.),
Steven Erikson
("A Tale of the Malazan Book of the Fallen"), J. V. Jones ("Sword
of Shadows") und nicht zuletzt
Guy Gavriel Kay
("Sarantium", "Last Light of the Sun" etc.) genannt, wobei
besonders Martin und Erikson wohl das derzeitige Non plus ultra darstellen.
Daran gemessen ist die Hürde für das zu besprechende Buch des Kanadiers R.
Scott Bakker (die englische Originaltrilogie "The Prince of Nothing"
ist bereits abgeschlossen, eine Nachfolgeserie ist schon in Arbeit) entsprechend
hoch.
Bakkers Welt ist ähnlich düster wie Martins Westeros oder Eriksons Malaz - und
ähnlich fesselnd ist die Geschichte. Gut 2000 Jahren vor Beginn der
eigentlichen Handlung wurde die Welt Eärwa von einer Katastrophe
unvorstellbaren Ausmaßes heimgesucht. Königreiche fielen, Städte gingen in
Flammen auf, das Wissen ganzer Generationen ging verloren, während die Menschen
zu Tausenden niedergemacht wurden. Die sogenannte "Apokalypse",
ausgelöst durch das Erscheinen des "Nichtgottes" und seiner Helfer,
der "Rathgeber", sorgte für den Untergang der menschlichen
Zivilisation im Norden, während in den folgenden Jahren die Menschen sich vor
allem an den Drei Meeren im Süden ansiedelten.
Im Jahr 4109 sind diese Zeiten fast vergessen. Kaum einer glaubt noch an die
"Rathgeber" - außer dem Hexerorden der Mandati. Dieser befindet sich
gleichzeitig in einem ständigen "kalten Krieg" mit den anderen
Hexerorden, die sich aber allesamt bei den Herrschern der Drei Meere kaum
großer Beliebtheit erfreuen. Anders als in vielen anderen Fantasyepen ist die
Magie in Bakkers "Eärwa" geächtet, wird sie doch von den Inrithi,
der größten Religionsgemeinschaft, verdammt, was nicht heißt, dass man sich
der Hilfe von Magiern nicht bedient.
Einer der Mandati-Hexer ist Drusas Achamian, ein "Kundschafter" seines
Ordens, der ständig auf der Suche nach Hinweisen auf ein mögliches Auftauchen
der "Rathgeber" ist. Achamian wird jede Nacht, wie jedes Mitglied
seines Ordens, von furchtbaren Albträumen heimgesucht, die Szenen aus den Tagen
der Apokalypse lebendig werden lassen: Ein Erbe des Ordensgründers Seswatha,
der damit vorsorgen wollte, dass das Grauen der Vergangenheit nie vergessen
werden sollte. Achamian wird nun von seinem Orden nach Sumna geschickt, wo sich
das religiöse Zentrum der Inrithi-Religion befindet. Ein neuer Tempelvorsteher
wurde gewählt, und dieser beabsichtigt offenbar, einen "Heiligen
Krieg" zu verkünden. Die Frage ist: Werden die Hexer-Orden das Ziel sein
oder die "heidnischen" Fanim, die seit Generationen die heilige Stadt
Shimeh besetzt halten? Achamian knüpft an alte Kontakte an, wie an die
Prostituierte Esmenet, muss aber schon bald erkennen, dass vieles nicht so ist,
wie es scheint.
Diese Erfahrung hatte auch der Scylvendi-Häuptling Cnaiür machen müssen. Vor
30 Jahren war er von einem Sklaven aus dem Norden, Anasurimbor Moenghus,
geschickt manipuliert worden. Am Ende war er Stammeshäuptling, doch der Weg
dorthin hatte über den Mord an seinem Vater geführt. Cnaiür musste auch
miterleben, wie sein Volk, das nie in einer Schlacht besiegt worden war, von dem
neuen General der Armee des Kaiserreichs Nansur, Ikurei Conphas, vernichtend
geschlagen wurde.
Cnaiür begegnet einige Zeit später einem Mann, der erschreckende Ähnlichkeit
mit Moenghus hat: Es ist dessen Sohn, Anasurimbor Kellhus, wie sein Vater ein
Mitglied des Ordens der Dunyain - und Erbe des in der Apokalypse untergegangen
Reichs von Kuniüri. Der Orden trainiert seine Mitglieder auf vollkommene
Beherrschung der Gefühle durch den Geist (logos) und auf die vollkommene
Körperbeherrschung. Kellhus selbst gibt an, seinen Vater töten zu wollen, doch
Cnaiür, der die manipulativen Fähigkeiten eines Dunyain bereits erleben
musste, ist auf der Hut - durchaus zu Recht: Kellhus ist der geborene
Manipulator, der das Verhalten von Menschen fast blind erkennen und analysieren
kann und somit sein Verhalten jeweils anpasst. Kellhus weiß, dass sein Vater in
Shimeh sein muss, wohin sich inzwischen auch das "Kreuzfahrerheer" der
Inrithi aufgemacht hat. Cnaiür und Kellhus machen sich gemeinsam auf den Weg:
Für Cnaiür ist der Dunyain-Mönch die einzige Möglichkeit, Moenghus zu finden
und sich an ihm zu rächen, Kellhus ist auf die Hilfe des Scylvendi angewiesen.
Am Ende des Buchs treffen sie auf das Heer der Inrithi und es kommt zu der
Wendung der Ereignisse, wie sie von Kellhus beabsichtigt war.
Ein weiteres Handlungszentrum stellt der kaiserliche Palast in Momemn dar, wo
Ikurei Xerius III. den Gang der Ereignisse für seine Zwecke zu beeinflussen
versucht. Das Kaiserreich Nansur, welches auf das Erbe des alten und noch
glorreicheren Imperiums von Cenei zurückblickt, ist nur noch ein Schatten
vergangener Tage. Die Kianene, Anhänger des heidnischen Glaubens des Propheten
Fane, haben das Imperium halbiert. Hinzu kommt die Bedrohung durch die Scylvendi
im Norden. Nun jedoch, da diese Gefahr ausgeschaltet ist, kann der Kaiser sein
nächstes Ziel ansteuern: Den Kreuzzug gegen die Fanim zu manipulieren und
dadurch lange verloren gegangene Territorien zurück zu gewinnen. Zugleich muss
er sich gegen die allgegenwärtigen Palastintrigen wehren. Am Ende scheint alles
nach Plan zu verlaufen, doch dann taucht ein Scylvendi-Kriegsherr in Begleitung
eines gewissen Anasurimbor Kellhus auf, der behauptet, ein Prinz aus dem Norden
zu sein...
Die Handlung von Bakkers "Schattenfall" kann hier nur skizziert
werden. Sie ist aber, trotz ihrer Fülle an Informationen, gut nachvollziehbar,
da die Handlungsebenen nicht allzu stark vermischt werden. Bakker hat einen
Doktortitel in Philosophie, was teils in den Gesprächen zwischen den
Charakteren durchscheint und wohl auch seinen Stil geprägt hat. Dieser ist gut
lesbar, wenn auch an manchen Stellen die Gespräche nicht so ablaufen, wie man
es vielleicht erwartet - besonders in Unterhaltungen am Kaiserhof wirkt manches
eher unpassend, doch mag dies Geschmackssache sein oder der Übersetzung
geschuldet sein, die insgesamt recht ordentlich ist. An manchen Stellen fragt
man sich freilich, ob nicht eine passendere Übersetzung möglich gewesen wäre,
da Begriffe wie "Heulsuse" bei einem Mann wie Cnaiür deplatziert
erscheinen.
Die Geschichte selbst kommt ohne größere Wendung aus, ist aber durchweg
spannend und lebendig geschrieben. Besondere Mühe hat sich Bakker bei der
Beschreibung der Religion gegeben. Der Inrithismus ähnelt zwar dem Christentum,
doch auch Aspekte des Neuplatonismus (etwa die Aussage, dass Gott in Gestalt
vieler Gottheiten auftritt) flossen offenbar mit ein. Das Szenario eines
"Heiligen Krieges" zur Befreiung der heiligen Stadt Shimeh ist
freilich "unseren" Kreuzzügen entliehen - bis hin zu dem Versuch des
Nansur-Kaisers, den "Kreuzfahrern" Verträge abzuringen. Der
byzantinische Kaiser Alexios I. Komnenos ist ebenso verfahren. Auch tauchen
viele Elemente auf, die der Bibel bzw. dem "Heiligen Land" entnommen
sind (Ortsnamen wie Golgotterath = Golgatha; Mengedda = Megiddo u.a.), wie auch
Nansur offenbar eine Art Byzanz darstellt und Cenei wohl Rom sein soll. Doch
sind derartige Folien nichts, was man dem Autor vorwerfen kann, da sie bei dem
Leser die Illusion von Vertrautheit wecken und zugleich interessante
Perspektiven eröffnen, zumal Bakkers Welt sehr selbstständig ist - und
zugleich zutiefst düster.
Martin ist weiterhin der Meister der Storywendungen und der
Charakterdarstellung, Erikson hängt dem nur wenig hinterher, beschreibt dafür
die Schlachten so eindringlich wie kein anderer und bewegt sich gleichzeitig in
einer epischen Rahmenhandlung, die ebenfalls unvergleichlich ist. Bakkers Welt
ist überschaubarer, dabei aber nicht weniger spannend. Wo Bakker meines
Erachtens nicht an Martin, Erikson und Co. heranreicht, ist die
Charakterdarstellung: Kellhus erweckt mit seinem manipulativen und schon
soziopathisch anmutenden Vorgehen nie die gleiche Sympathie beim Leser wie
Martins Tyrion oder Eriksons Fiddler. Cnaiür mag brutal agieren, doch wirkt
dies aufgrund des sozialen Hintergrunds der beschriebenen Stammesgesellschaft
durchaus glaubhaft - zumal er durchaus nicht ohne Gefühle ist. Meiner Meinung
nach am besten gelungen sind die Darstellungen des Kaisers und auch von
Achamian, der sich ernsthaft Gedanken über die Folgen seines Handelns macht und
innerlich tief zerrissen ist, dass er teils geliebte Menschen benutzen muss.