Kanada scheint ein gutes Pflaster für Fantasyautoren zu sein, denn sowohl Guy
Gavriel Kay als auch
R. Scott
Bakker stammen von dort - ebenso wie Steven Erikson. Erikson, eigentlich
Archäologe und Anthropologe, veröffentliche 1999 das Buch "Gardens of the
Moon" (dt. Ausgabe
Die
Gärten des Mondes), welches auf Anhieb positiv aufgenommen wurde. Dabei war
die Geschichte alles andere als leicht verdaulich: Statt einer bunten
Fantasywelt, wo der Böse am Ende sicher besiegt ist und der Gute die Prinzessin
zur Frau nimmt, beschrieb Erikson eine komplexe und düstere, von Kriegen
zerrissene Welt, in der die Guten weniger edel und der Böse weniger leicht zu
erkennen war - und ersterer nicht zwingend die Handlung überleben musste.
Gerade das Charakterdesign und die sehr komplexe, wirklich epische Geschichte
hebt Erikson von der Masse der Autoren ab, zumal er sich eines durchaus nicht
anspruchslosen Stils bedient.
Eriksons Welt ist eine, in der Magie kuriose Formen annimmt, uralte Kulturen aus
den Trümmern vergangener Zeiten entstanden sind. Es handelt sich um eine Welt,
in der die Götter von Menschen getötet werden können und Menschen zu Göttern
werden können - nicht umsonst ließ sich Erikson stark von der Ilias
inspirieren. Ein weiteres Vorbild stellte Glenn Cooks "Black Company"
Reihe dar, in der Cook das Schicksal einer Söldnerkompanie in einer Fantasywelt
beschrieb. Bei Erikson stellt ein wichtiger Erzählmittelpunkt die Geschichte
der "Brückenverbrenner" dar, einer Eliteeinheit des malazanischen
Imperiums, welches sich fast unaufhaltsam auf allen Kontinenten von Eriksons
Fantasywelt ausgebreitet hat. Die Reihen der wenigen verbliebenen
Brückenverbrennern haben sich in den vergangenen Büchern gelichtet - nicht
umsonst trägt Eriksons auf 10 Bände angelegte Reihe den Titel "A Tale of
the Malazan Book of the Fallen" - "Eine Geschichte aus dem
malazanischen Buch der Gefallenen".
Im vorliegenden sechsten Band, The Bonehunters, wird das Ende der malazanischen
Strafexpedition im "Reich der Sieben Städte" beschrieben, wo Rebellen
(in Nachahmung des Sepoy-Aufstandes in Indien 1857) brutal und gnadenlos die
malazanischen Besatzungen und Zivilisten niedergemacht hatten. Nur einige
tausend Menschen waren in die Stadt Aren entkommen, wofür die 7. malazanische
Armee allerdings mit dem Leben ihrer Soldaten bezahlte ("The Deadhouse
Gates"). Die malazanische 14. Armee hat nun das Zentrum des Aufstandes
zerschlagen ("House of Chains") und marschiert nun zur letzten Stadt,
die von den Rebellen gehalten wird: Y'Ghatan, wo Jahre zuvor bei der Eroberung
des Subkontinents der größte General des Imperiums, Dassem Ultor, durch Verrat
starb. Erikson beschreibt mit seinem gewohnt trockenen Sinn für Humor die
Gespräche zwischen den malazanischen Soldaten, die sich jeweils ganz
persönlich auf den Kampf mental vorbereiten - oder versuchen, mit ihren
Ängsten fertig zu werden. In Y'Ghatan plant derweil Leoman, der Kommandeur der
Rebellen, die malazanische Armee bei der Eroberung verbluten zu lassen. Als es
zum Angriff kommt, wird ein Viertel der Malazaner in der mit Öltöpfen
präparierten Innenstadt vernichtet, ebenso aber auch die Reste der
Rebellenarmee, während Leoman sich absetzen kann, wobei er seinen verbitterten
Freund und zweiten Kommandeur, Corabb, zurücklässt. Die Malazaner ziehen
schließlich ab und versuchen, durch das von der Pest heimgesuchte Land einen
sicheren Hafen zu erreichen. Schließlich gelangen sie mit der Flotte nach
Malaz, dem alten Zentrum des Imperiums, wo die Kommandeurin der 14. Armee,
Tavore Paran, feststellen muss, dass der Kaiserin Laseen, die nach den
Katastrophen der letzten Zeit nur noch ihre Macht sichern will und dabei auch
mit höchst zweifelhaften Personen paktiert, nicht mehr zu trauen ist.
Ein weiterer Schwerpunkt der Handlung stellt die Geschichte um den Gott
Cotillion und seinen Versuch dar, einen magischen Thron von den Tiste Edur zu
schützen. Diese nicht-menschliche Rasse wurde bereits im Band "Midnight
Tides" eingehend vorgestellt. Auf einem weit entfernten Kontinent haben sie
ein Imperium errichtet, wobei sie vor der grausamsten Barbarei nicht
zurückschreckten, angetrieben von ihrem Imperator, der sich mit dem
"angeketteten Gott" eingelassen hat, einem Wesen aus einer fremden
Welt, der vor Jahrtausenden besiegt, aber nicht vernichtet wurde.
Auch Ganoes Paran, ein bereits aus den ersten Büchern bekannter Malazaner, der
nebenbei im Spiel der Götter eine wichtige Rolle spielt, tritt auf. Er
übernimmt das Kommando über die Armee von Dujek Einarm - und muss, um sie zu
retten, eine Göttin töten.
Fazit
Eriksons Bücher sind sicherlich nichts für Leser leichter Literatur, denn die
Geschichte ist vielschichtig und nicht ohne Brutalität. Andererseits kann ich
jedem, der sich nur einen Funken für Literatur dieser Art erwärmen kann oder
der nur einfach eine komplexe Geschichte genießen möchte, Eriksons Werke
empfehlen.
The Bonehunters (der Name spielt übrigens auf den "Spitznamen" der
14. Armee an) stellt da keine Ausnahme dar. Die Handlung wird geschickt
vorangetrieben, wobei jedoch am Ende jeder, der sich für die Malazaner
begeistern konnte, enttäuscht sein dürfte - es ist zu vermuten, dass die
folgenden Bände das Imperium eher am Rande behandeln werden. Dennoch: Es bleibt
eine großartig erzählte Geschichte, die nicht nur Fantasyleser begeistern
kann.
Lesern mit eher rudimentären Englischkenntnissen sei allerdings dringend zur
deutschen Übersetzung geraten (Verlag Blanvalet, dort werden die Originalbände
jedoch ab dem zweiten englischen Band für die Übersetzung geteilt).