Eva Hermans Buch wurde schon bundesweit zerredet, ehe die Diskutierenden die
Thesen der Autorin exakt benennen konnten. Die Thesen im Buch zu orten, ist
tatsächlich nicht einfach; denn Eva Herman zäumt das Pferd von hinten auf.
Bevor sie zur Sache kommt, setzt sie sich zunächst rechtfertigend mit
möglichen und tatsächlichen Kritikerinnen und "dem Feminismus"
auseinander. Die hohe Dichte von aktiven Feministinnen in Eva Hermans Umgebung
halte ich nicht für repräsentativ. Die Begriffe Feminismus, Emanzipation und
Frauenbewegung verwendet die Autorin synonym, polemisch und ohne sie exakt zu
definieren. Es fällt ihr auch schwer, die Begriffe Berufstätigkeit,
Selbstverwirklichung und Karriere sauber voneinander zu trennen. Mit viel gutem
Willen könnte ich ihre Kernthesen beschreiben als "Die Geburtenrate in
Deutschland sinkt aufgrund der Berufstätigkeit von Frauen" und
"Krippenbetreuung schadet kleinen Kindern.". Beide Thesen belegt die
Autorin nicht; beide Thesen lassen sich empirisch begründet widerlegen.
Herman kritisiert die Frauen- und Mütterfeindlichkeit in Deutschland. Doch ihre
klischeehaften Urteile über Männer und Frauen könnten von ihren Lesern
ebenfalls als Frauen- oder Männerfeindlichkeit verstanden werden. Beim
Themenkomplex "Rückkehr von Müttern in den Beruf nach einer
Familienpause" vermisse ich die Perspektive des Arbeitgebers und die der
Kunden oder Klienten. Ausbildung kostet Geld; und der Verlust einer erfahrenen
Mitarbeiterin ist für Betriebe ein Kostenfaktor. Viele Betriebe haben auf diese
Situation mit flexiblen Arbeitszeiten und kreativen Betreuungsideen reagiert.
Eva Herman wird wohl selbst ungern vor geschlossenen Arztpraxen, Schulen und
Handwerksbetrieben stehen wollen, die die Inhaberinnen geschlossen haben, um
sich auf die Suche nach einem gut verdienenden Mann zu machen. Auf die Bedeutung
des Partners und Vaters bei der Familiengründung und Kindererziehung
einzugehen, vermeidet die Autorin. Wer sich zur Zeit gegen Kinder entscheidet,
hat meist keinen sicheren Arbeitsplatz und erlebte selbst als Kind, wie alle
mühevollen Tätigkeiten vom Bügeln bis zur Kinderbeaufsichtigung an die
Großeltern ausgelagert wurden. Es fehlten und fehlen Rollenvorbilder. Daran
heute dem angeblichen Karrierestreben der Frauen die Schuld zu geben, finde ich
so platt wie polemisch. Italien hat eine der niedrigsten Reproduktionsraten in
Europa und die höchste Quote von männlichen Nesthockern, die sich mit 40
Jahren noch von ihren Müttern versorgen lassen. Es muss sich etwas ändern,
Frau Herman - in der Erziehung von Söhnen!
Fehlentwicklungen bei Kindern führt die Autorin ausschließlich auf die
Berufstätigkeit der Eltern zurück. Glückliche Kinder von berufstätigen
Müttern und verwahrloste Kinder, deren Eltern beide ganztags zuhause sind, will
die Autorin nicht wahrhaben. Ihre Kritik an Kindergärten und Krippen ist so
polemisch wie ihre Beschreibung der elterlichen Motive: hier "rudimentär
ausgebildetes Personal" und dort "Mütter wollen ihre Kinder
loswerden".
Pointierte Polemik kann Diskussionen anregen. Doch die Vermischung so genannter
später Mütter, der Sexualität, dem Paragraphen 218, dem Tragen von Hosen und
flachen Schuhen und immer wieder Alice Schwarzer ist mir etwas zu
unübersichtlich. Keine Einwände habe ich gegen das Kapitel "Krise der
männlichen Rolle in Schule und Beziehung".
Fazit
Im "Eva-Prinzip" habe ich keine Einsichten gefunden, die jungen Paaren
bei der Entscheidung für oder gegen Studium/Ausbildung/Familie/Kinder und dem
Wer-und-in-welcher-Reihenfolge helfen kann. Beim Spagat zwischen unsicheren
Arbeitsplätzen, den Lebenshaltungskosten in Großstädten und den
verbesserungsbedürftigen Betreuungsmöglichkeiten für Kinder bietet das
Eva-Prinzip wenig Hilfe. Mir fehlen exakte Formulierungen, eine klare Gliederung
in Fakten, Schlussfolgerungen und persönliche Erfahrungen der Autorin, sowie
zitierfähige Quellenangaben im Anhang. Praktikable Vorschläge, wie mit
verbesserter Beratung, nachbarschaftlichen Netzwerken und der Hilfe durch
Mentorinnen junge Familien zukünftig unterstützt werden könnten, habe ich
vergeblich gesucht.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 20. Oktober 2006 2006-10-20 19:47:08