"Ich muss los", aber nicht, bevor ich diesen Roman zu Ende gelesen
habe.
Zunächst gilt es, dem Piper-Verlag zu dem gelungenen Layout zu gratulieren. Die
Vierteilung mit Sardine, Büchse, Titelei und Fischers Fritze ist wirklich
hübsch.
Und dann muss natürlich vor allem Annette Pehnt zu diesem professionellen
Debüt beglückwünscht werden, denn die Geschichte ihres Protoganisten Dorst
ist wahrlich lesenswert.
Der junge Dorst bekommt von seiner Lehrerin einen Brief mit nach Hause, der den
Roman einleitet:
"Ihr Kind ist taktlos und hat wenig Gefühl für andere. Bald merkte Dorst,
dass niemand die Wahrheit mochte. Er beschloss, von nun an nicht mehr die
Wahrheit zu sagen. Also schwieg er. Seitdem knackte sein Kiefergelenk beim
Gähnen."
Und so bleibt es auch. Dorst, der ausschließlich die schwarzen Anzüge seines
verstorbenen Vaters trägt, arbeitet nach dem Abitur als Fremdenführer, aber er
zeigt den Touristen nicht die städtischen Attraktionen, sondern führt sie zu
Limonandenbrunnen und Honigfrauen. Er ist schüchtern, verfügt über eine
schier grenzenlose Phantasie und bleibt weitgehend einsam und rastlos. Der junge
Mann bleibt ein Einzelgänger bis er die junge Lehrerin Elner kennen lernt, die
ihn - zumindest vorläufig - aus seiner selbstgewählten Einsamkeit zu befreien
scheint.
"Erst mit Elner ging Dorst zum ersten Mal in eine Disco. Sie drängten
zusammen durch die dichten Grüppchen vor bis zum Eingang. Die Mädchen um sie
herum trugen Ringe an Lederriemen um den Hals und enge Leibchen. Die könnten
unsere Kinder sein, sagte Elner, wir passen hier hierhin wie die Faust aufs
Auge, und sie klang stolz. Sie hatte sich Tücher umgebunden und das dicke Haar
zu einer Wolke gebürstet. "Ich lade dich ein zum Tanz, sagte Dorst. Ich
lade dich ein zum Tanz, sagte neben ihm ein Mädchen mit verstellter Stimme und
lachte."
Aber der rätselhafte Held geht nicht nur mit Elner in die Disco, sondern
erzählt ihr Geschichten aus seinem Leben. Episode wird an Episode gereiht, und
mit knappen Worten werden Personen, Probleme und Emotionen geschildert. Und bei
diesen knappen Beschreibungen bleibt es auch, denn Elner ist stets auf dem
Sprung...
Annette Pehnt wurde 1967 geboren. Sie studierte und arbeitete in Irland,
Schottland und den USA bevor sie als freie Autorin und Kritikern nach Freiburg
zog. Sie veröffentlichte Kurzgeschichten und eine Monographie über John
Steinbeck.
Fazit
"Ich muss los", so lautet Einers Lebensmotto, das prägt natürlich
auch den Erzählstil von Annette Pehnt und macht den Roman zu einem wunderbar
geschlossenen Ganzen.
Vorgeschlagen von Heide John
[Profil]
veröffentlicht am 15. Oktober 2006 2006-10-15 17:27:59