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Jette Kaarsbol: Das Versprechen der Ehe

Das Versprechen der Ehe

von Jette Kaarsbol
Verlag: Piper Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-492-04777-7

Preis: 2,25 Euro bei Amazon.de [Stand: 22. Dezember 2024]
Schon die ersten Sätze des Romans entführen in eine andere - längst vergangene - Welt: "In einem der besseren Viertel der Stadt, in einer Straße nahe Amalienborg, residieren Herr und Frau Obergerichtsrat Herlov hinter vier breiten Fensterfronten im zweiten Stock."
Im März 1933 entdeckt das Dienstmädchen von einer dieser Fensterscheiben aus die alte Dame im Haus gegenüber. Starr und unbeweglich sitzt sie in ihrem Ohrensessel am Erkerfenster - sie ist tot, nur noch "ein Kadaver, ein Aas, ein Ding... eine vertrocknete, verwelkte Hülle ohne Inhalt, eine Schale, die so dünn und zerbrechlich wirkt, dass sie bei der geringsten Berührung zerbrechen könnte."
Dann führt die Autorin ihre Leser zurück ins Jahr 1875, nach Kopenhagen, mitten ins Leben der damals noch jungen Frederikke Leuenbech. Sie ist dem jungen Theologiestudenten Christian Holm versprochen, einem biederen Burschen, der keine positiven Gefühle in ihr zu wecken vermag. Ganz im Gegenteil: Als er ihr eines Abends "nachdem er sich mit dem Jahrgangswein ihres Vaters Mut angetrunken hatte" die Zunge in den Mund steckt, empfindet sie - bei diesem allerersten Kuss ihres Lebens - nichts als Abscheu. "Es war, als hätte er ihr den Mund mit Waldschnecken vollgestopft."
Dennoch wäre sie ihrer Bestimmung gefolgt, hätte Holm geheiratet und ein bescheidenes, zurückgezogenes, vielleicht sogar zufriedenes Leben als Pfarrersfrau geführt. Aber das Schicksal begegnet ihr in Form des umschwärmten Arztes Frederik Faber und gibt ihrem Leben ein völlig andere Richtung.
Der charismatische Faber bewegt sich in anderen Kreisen als die Leuenbechs und Holms, er ist von Bohemiens, Künstlern, Aktivisten und Schwärmern umgeben, die über Gott und die Welt diskutieren und in Frage stellten. Faber und sein Freundeskreis lehnen gesellschaftliche Konventionen ab, man verfolgt individuell unterschiedliche, sinnstiftende Ziele und tut Dinge, die den Vorstellungen des bürgerlichen Zeitalters massiv zuwiderlaufen. Frederikke ist fasziniert und manchmal zugleich abgestoßen, aber sie erkennt durch die Treffen mit diesen jungen Leuten, dass sie keinesfalls an der Seite des ungeliebten, zukünftigen Pfarrers leben will. Als sie ihre Verlobung löst, kommt es zu einem Skandal, dem sie sich trotzig entgegenstellt. Wenig später hat sie das Gefühl, genau das Richtige getan zu haben, denn Frederik bietet ihr die Ehe an, verspricht ihr finanzielle Unabhängigkeit und größtmögliche persönliche Freiheit. Frederikke ist überglücklich und fest davon überzeugt, dass sich ihr Leben an der Seite des Arztes, den sie bewundert und aus tiefstem Herzen liebt, zum Positiven wenden wird. Aber schon in der Hochzeitsnacht merkt sie, dass ihr Gatte unter einer Ehe etwas völlig anderes versteht als sie.
Frederikke scheitert an ihrer Liebe, sie scheitert daran, dass sie ihrem Leben eine andere Richtung geben wollte. Das Grundthema des Schicksals und der Einflussnahme auf die individuelle Bestimmung, ist der philosophisch unterfütterte, rote Faden des Romans. Erst gegen Ende ihres Lebens wird Frederikke erkennen, dass jeder Mensch selbst für sein Lebensglück verantwortlich ist.
Jette Kaarbol hat einen wunderbaren Roman in der Tradition der bedeutenden skandinavischen Erzähler des 19. Jahrhunderts geschrieben, der vor allem durch zwei überzeugende Protagonisten besticht: Frederik und Frederikke sind die beiden Symbolfiguren, deren Ziele, Wünsche, Lebenseinstellung und Lebensgestaltung differieren. Beide sind glaubwürdige Stellvertreter einer ganzen Epoche.
Jette Kaarbols Sprache entwickelt einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann, sie setzt Metaphern, die den Leser oft innehalten lassen, sie schafft es, atmosphärische dichte Bilder zu erzeugen, wie beispielsweise bei Frederikkes einsamer Beerdigung, wo "das scharrende Geräusch (der Schaufel) im Jammern des Windes ertrinkt". Nicht jedes Bild sitzt: "In der gleichen Sekunde zerbröckelte Christians Gesicht wie ein Zwieback über einer Kaltschale", aber dieser Umstand ist zu vernachlässigen. Aber das ist, ob der Großartigkeit des Gesamtwerks, zu vernachlässigen.


Autoreninfo: Jette Kaarsbol wurde 1961 im dänischen Hillerod geboren und arbeitete als Dänisch- und Englischlehrerin, bevor sie »Das Versprechen der Ehe« schrieb. Ihr Debüt brachte ihr den renommierten »Goldenen Lorbeer« und den Buchpreis der Leser ein und wurde in mehrere europäische Sprachen übersetzt. Derzeit schreibt sie an ihrem zweiten Roman.
Fazit
Dieser Debütroman ist ein glänzender Gesellschaftsroman, er vermischt sowohl sprachlich als auch inhaltlich Altes mit Neuem, Vertrautes mit Unbekanntem.

Tipp: Unbedingt lesen!
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Vorgeschlagen von Heide John [Profil]
veröffentlicht am 15. Oktober 2006

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