Im Sommer 1989, wenige Monate vor der Wende, kreuzen sich die Wege einiger
DDR-Bürger. Auf den Spuren eines dubiosen Journalisten (West) und eines jungen
Fotografen (Ost) treffen wir: Juristen, Fabrik-Direktoren, Hotelmanager,
Musiker, Volkspolizisten und Regimekritiker. Die Physiotherapeutin Lena wird
unfreiwillig zur Gallions-Figur der Wende und ahnt nicht, dass sie mit einem
harmlosen Lied unbedarft in die Abgründe des westdeutschen Urheberrechts
geraten wird. Lenas Arbeitsplatz im Gesundheitssystem des maroden Staates ist
das Symbol für eine herunter gewirtschaftete Volkswirtschaft, die von
Geschäften mit den harten West-Devisen des Klassenfeindes und Kopfgeld für
ihre "freigekauften" Bürger lebte.
Carola Schreiter, Tochter des Fabrikleiters von VEB Sachsenring, brennt aus dem
Ungarn-Urlaub mit einem westdeutschen Studenten durch und wird sich ewig
ärgern, dass alle anderen nach der Wende einfach von West- nach Ostberlin
fahren können. Ihr Vater trifft derweil den angeblichen Sohn des
Vorstandsvorsitzenden des VW-Konzerns, der die wirtschaftliche Entwicklung im
Osten sondieren will.
Staatsanwalt Lutz Neustein sieht ein, dass es besser für seine Karriere ist,
keine Anklage gegen einen geschniegelten 19-jährigen zu erheben. Sollen sich
doch die im Westen die Zunge verbrennen und entscheiden, ob sein Anfall von
Größenwahn nach dem Jugendstrafrecht zu behandeln ist.
Am Tag, als mit dem System auch die Zensur abdankt, reicht Waldemar Bude, der
kleine unrasierte Dichter, sein Manuskript ein und findet zensurtechnisches
Niemandsland vor. Während Mauerspechte die letzten bemalten Betonsplitter des
ehemaligen antifaschistischen Schutzwalls abtragen, zerstreuen sich Brussigs
Protagonisten in alle Himmelsrichtungen, die der Pauschaltourismus für sie
bereit hält.
Fazit
Brussig stellt die Wende als Puzzle grotesker, zufälliger Ereignisse vor. Er
seziert spöttisch die Situation der Wichtigfühler, die rechtzeitig
karrieretechnische Entscheidungen treffen wollten, um gegen alle Eventualitäten
abgesichert zu sein. Und er entlarvt, wie ehemalige Worthülsen Ost durch
ähnliche Leerformeln der Marke West ersetzt wurden. Seine Demaskierung der
Naivität im "Tal der Ahnungslosen" wirkt aus der Perspektive des
Jahres 2004 dagegen eher peinlich. Ein witziger, etwas zu langer Wenderoman.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 20. August 2006 2006-08-20 14:54:45