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Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft: Bildung neu denken! Das Zukunftsprojekt

Bildung neu denken! Das Zukunftsprojekt

von Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft
Verlag: Leske & Budrich [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-8100-4110-4

Preis: 22,95 Euro bei Amazon.de [Stand: 22. November 2024]
Die Herausgeber haben die Firma Prognos AG beauftragt, die Schwächen des deutschen Bildungssystems empirisch zu untersuchen, Leitbilder zu entwickeln und Rahmenbedingungen aufzuzeigen, wie die Herausforderungen der nächsten 20 Jahre in Wirtschaft und Gesellschaft bewältigt werden können. Systematisch gegliedert wird für die verschiedenen Lebensalter der Ist-Zustand analysiert, für Inhalte, Ort, Zeit und Qualität werden konkrete Empfehlungen ausgesprochen.
Weil Bildung ein wesentlicher Zukunftsfaktor für die bayerische Wirtschaft sei, fordern die Autoren sofortige und grundlegende Veränderungen, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland erhalten werden kann. Ihre Forderungen sind unbequem: Schul- und Kindergarten-System müssen sich radikal ändern, das duale Berufsbildungssystem wird durch eine Ausbildung für Berufsfelder ersetzt, die Praxisferne der universitären Lehre muss der Vermittlung von Arbeitsfähigkeit weichen.

Kernthesen der Autoren sind:
* Im Kindergartenalter wird das gerade offene Lernfenster der Kinder nicht genutzt.
Gefordert wird ein bedarfsdeckendes, kostenfreies Betreuungsangebot für Kinder bis zum 4. Lebensjahr und eine Qualifizierung des Personals für die neuen Anforderungen.

* Im gesamten Bildungssystem wird zu viel Zeit verschwendet. Die Einschulung findet zu spät statt, insgesamt werden zu wenig Unterrichtsstunden erteilt. Es gibt kaum Leistungsanreize, das Erreichen von Noten wird für wichtiger gehalten als der Erwerb von Schlüssel-Qualifikationen. Im Lernfenster während der Pubertät muss mehr Wert auf die Entwicklung der Denkfähigkeit gelegt werden. Ein soziale Pflichtjahr für alle über 17 Jahren soll Schlüsselqualifikationen vermitteln. Die Qualität von Bildungseinrichtungen soll zukünftig gemessen und dokumentiert werden, Wettbewerb ist erwünscht.

* Der Sonderweg des dreigliedrigen Schulsystems hat im Vereinten Europa keine Überlebenschance. Für Leistungswillige ist das System zu wenig durchlässig.

* Die Überalterung der Gesellschaft und verstärkte Zuwanderung erfordern mehr Investitionen in die Ausbildung hochqualifizierter Arbeitskräfte. Ein drohender Fachkräftemangel kann nur abgewendet werden, wenn das untere Drittel leistungsschwacher Schüler besser qualifiziert wird. Die zukünftige wissensbasierte Dienstleistungsgesellschaft hat keinen Bedarf mehr an gering qualifiziertem Personal.

* In Bayern herrscht schon jetzt Akademikermangel. Eine Studienabbrecherquote von 23% verursacht unnötige Kosten. Die Qualifikation an den Hochschulen zeichnet sich durch Lebens- und Arbeitsmarktferne aus. Die deutschen Hochschulen sind im globalen Wettbewerb nicht konkurrenzfähig.

* Das deutsche Bildungsbürokratie schottet sich gegen Veränderungsversuche ab. Die Lehr-Methoden sind modernisierungsbedürftig. Die obrigkeitsstaatliche Bildungsaufsicht muss durch zeitgemäße Management-Modelle ersetzt werden. Die fehlende Finanzierungsautonomie der Schulen ist leistungs- und innovationsfeindlich. Die Lehrerbildung soll durch Veranstaltungen in Diagnostik, Beratung und Management professionalisiert; Eignungsprüfungen für Lehramtsstudenten sollen eingeführt werden. Die höhere
Qualifikation wird dann hoffentlich zu mehr Wertschätzung des Lehrerberufs führen.

* Deutschland investiert weniger Geld in Bildung und Erziehung als der OECD-Durchschnitt. Die Ausrüstung der Schulen im IT-Bereich ist ungenügend. Der Umbau des gesamten Bildungssystem ist mit öffentliche Mitteln nicht zu finanzieren; deshalb fordern die Autoren finanzielle Beteiligung an den Kosten der Ausbildung durch Schul- und Büchergeld.

* Ohne Kooperation zwischen Schule, Elternhaus und Betrieben geht es nicht. Einige Bevölkerungsgruppen hätten sich bisher Erziehung und Bildung entzogen und die Konsequenzen durch die Gemeinschaft finanzieren lassen.

* Der Gegensatz von beruflicher Bildung und Allgemeinbildung ist überholt. Klassische Bildungsideale, die sich an den Werten des beginnenden 20. Jahrhunderts orientieren, überfrachten die Lehrpläne. Naturwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Bildung wird im Privatleben wie im Berufsalltag benötigt. In Zukunft wird man in Netzwerken arbeiten und kundenorientiert denken müssen.
.
* Beamtete Lehrer können dem Nachwuchs keine unternehmerischen Fähigkeiten vermitteln.

* Alle müssen sich auf lebenslanges Lernen bis zum 65. Lebensjahr, erheblich komplexeres Wissen und diskontinuierliche Erwerbsbiografien einstellen. Das intergenerationelle Lernen muss aufgewertet werden.

Die Beschreibung des Ist-Zustandes kann jeder, der schulpflichtige Kinder hat, aus eigener Erfahrungen bestätigen.

Einige Punkte werden von den Autoren vorsichtig umgangen:
* Zuerst müssen die Erziehenden in den Familien ihre Einstellung ändern; das setzt die Fähigkeit zu Erziehung von Kindern als Schlüsselqualifikation voraus. Die veränderte Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus könnte damit beginnen, die Thesen des Buches für die kritisierten "bildungsfernen Schichten" verständlich zu formulieren.
* Bayrische Schüler erleben Schule bisher als Übungsfeld für parteipolitische Ränkespiele, und finden selten Vorbilder für team- und lösungsorientierte Prozesse.
* Mir fehlt in dem übersichtlich gegliederten Sachbuch die nüchterne Einsicht, dass es im vereinten Europa auch keinen bayrischen Sonderweg geben wird.
* Patriarchalische Familienstrukturen, in denen religiöse Traditionen höher geschätzt werden als Bildung, könne ebenfalls innovationsfeindlich sein.
* Die von den Autoren geforderte teamfähige, mehrsprachige, bestens qualifiziert Generation dümpelt zur Zeit als Generation Praktikum in finanzieller Abhängigkeit von Eltern und Partnern. Ohne berufliche Perspektive wird es in dieser Altersgruppe kaum Familien geben; wem nützt dann ein zukunftsfähiges Bildungs- und Erziehungssystem?
Fazit
Das Buch ist übersichtlich aufgebaut, leicht zu lesen und bietet eine Fülle von Diskussionspunkten, mit denen sich manch fesselnde Unterrichtsstunde gestalten ließe.
8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne

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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 16. August 2006

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