"Krabat" von Otfried Preußler ist mein absolutes Lieblingsbuch. Es
erschien nach zehnjähriger Arbeit 1972 und erhielt sofort den Deutschen
Jugendliteraturpreis. Der mythisch-phantastische Stoff, der auf eine wendische
Volkssage zurückgeht, erzählt die Geschichte des 14-jährigen Waisenjungen
Krabat, der Anfang des Jahres, zu Dreikönig, an eine sogenannte "Schwarze
Mühle", eine Zaubermühle, gerufen wird. Dort arbeiten 11 Gesellen unter
einem "Meister", der sich als Zauberer und Magier erweist. Er lehrt
die Müllerburschen nicht nur das Mühlenhandwerk, sondern auch die Zauberkunst.
Allerdings ist der Preis sehr hoch: am Ende eines jeden Jahres stirbt einer der
Gesellen, da der "Meister" sonst selber sterben muß und dem Teufel
verfällt. Dieser kommt im Roman unter einer verhüllenden Metapher vor: er
fungiert als "Herr Gevatter" und taucht in Neumondnächten auf. Dann
müssen die Müllerburschen nachts geheimnisvolle Säcke, die mit Knochen und
Skelett beladen sind, mahlen und in diesem Zustand zurückbringen. Krabat
gelingt es mit Hilfe eines treuen Freundes, zunächst in der Mühle und ihrem
Alltag Fuß zu fassen. Doch nach einem Jahr stirbt der Freund. Krabat ist auf
sich allein gestellt. Ihn beschäftigt die Frage: Warum mußte der Freund
sterben? Kann er den Teufelskreis durchbrechen?
Drei Jahre umfasst die Zeit in der "Mühle", jedoch ist damit eine
längere Zeit der Reife gemeint. Krabat, unbedarfter Lehrjunge im ersten Jahr,
erlernt nach und nach, sich zu behaupten und eigene Wertmaßstäbe zu setzen. Im
dritten Jahr ist er gereift und nimmt den Kampf mit dem Zaubermüller auf.
Heinrich Pleticha hat in seiner Festschrift "10 Jahre mit Krabat", die
zu Preußlers 50. Geburtstag 1973 erschienen ist, die Entstehungsgeschichte
dieses Buches meisterhaft nachgezeichnet. Sie spielt zu Zeiten Augusts des
Starken in Sachsen, zu jener Zeit, in der er auch König von Polen war, also zu
Beginn des 18. Jahrhunderts vor dem Frieden von Altranstädt (1706), in dem
August der Starke auf die polnische Krone verzichten mußte. Die Kriege mit den
Türken werden erwähnt und sind - allerdings nur am Rande - Teil der
Handlung.
Wichtiger ist die Entwicklung der Hauptfigur: Krabat lernt selbstständig zu
denken und eigene Wertmaßstäbe zu setzen. Zunächst ganz arglos, ist Krabat
glücklich, in der "Mühle" mit anderen Gesellen dem elenden
Bettlerleben entronnen zu sein. Doch allmählich erkennt er den furchtbaren
Preis dafür... Am Ende widersteht er allen Verlockungen des Bösen und wählt
den - sicherlich unbequemeren Weg - der Ehrlichkeit und des Guten: er lehnt es -
unter Lebensgefahr - ab, Nachfolger des "Meisters" zu werden und sich
mit dem Teufel zu verbünden, da dann ein anderer Müllerbursche sterben müßte
- und hat den eigenen Tod vor Augen?
Preußler schafft es, aufgrund genauer Kenntnisse der Geschichte und des
Mühlenalltages eine eigene, phantastisch-bedrohliche Welt zu schaffen, die der
Zaubermühle im "Koselbruch" bei Schwarzkollm in der Gegend um
Hoyerswerda. Im Unterschied zu Jurij Brezans: "Die schwarze Mühle"
überwiegen jedoch die phantastisch-märchenhaften Elemente, das realistische
Element ist stark zurückgedrängt.
Preußler gelingt es, atemberaubend spannend das Schicksal Krabats und seiner
Gefährten zu beschreiben. Elementare menschliche Werte wie Liebe und
Freundschaft erweisen sich letztlich als stärker als die Macht des Bösen und
der Verführung. Gegenbild zu den personifizierten Mächten des Bösen (Meister
und Teufel) - und dies ist von Preußler bewußt so angelegt - ist der Zauberer
Pumphutt, der kurz in dem Buch vorkommt und als positives Vorbild für Krabat
und die Müllerburschen herhalten kann. Preußler selber wollte in ihm und
seiner Lebensführung die Alternative zum Weg des "Meisters" und des
"Gevatters" aufzeigen; nicht die Verstrickung in das Böse, die aktive
bewußte Loslösung von ihr kann nur der einzig richtige Weg sein. Er ist
schwierig zu gehen und gelingt bezeichnenderweise nicht alleine - es ist die
Liebe zu einer weiteren Person, der Freundin Kantorka, die die Wende und
schließliche Rettung für Krabat bringt.
Es ist meisterhaft, wie Preußler seine Figuren psychologisch glaubhaft
schildert. Beispielhaft dafür steht, dass er die Erlösungsszene mehrfach
umschrieb, um sie glaubwürdig zu gestalten. Aus der Mutter, die in der Sage den
"Krabat" unter den Raben erkennt, weil sich einer anders verhält wie
die übrigen, wird die Freundin Kantorka, die - vom Meister überlistet - kein
"Hilfsmittel" erhält, um ihren Freund aus Lebensgefahr zu retten: es
ist die Angst, die Krabat spürt, nicht um sich, sondern um das Leben des
geliebten Mädchens, welches die Kantorka ihn unter den Raben erkennen läßt.
Diese psychologische Meisterleistung (die Szene ist viel glaubwürdiger und
"realistischer" als das ursprüngliche Sagenende) zeigt, dass
Preußler nie simplifiziert hat: er setzt auch in diesem preisgekrönten
Jugendbuch höchste Maßstäbe an, um auch das - vorhersehbare - Ende
glaubwürdig zu gestalten. Höchste Maßstäbe setzt er auch an, um das Dilemma
des Krabat, seine Entscheidung zwischen Gut und Böse, glaubhaft zu
vermitteln.
Wer teilt nicht die Trauer und die Ohnmacht Krabats beim Tode des geliebten
Freundes? Seinen Zorn, sein Gefühl der Wehrlosigkeit? Gibt es nicht überall
Freunde, aber auch Verräter (in der Gestalt des Lyschko beängstigend plastisch
dargestellt).
Wer von uns ist gegen Verlockungen gefeit? Folge mir und Du hast ein wunderbares
sorgloses Leben - die Kosten tragen die anderen! Es sind existentielle Fragen,
die jedem Menschen im Leben begegen, die hier aufgeführt werden. Das Buch ist
einfach, wie gesagt wurde, "Dichtung".
Fazit
Ein Buch, welches die Auszeichnung des Jugendliteraturpreises wie selten eines
verdient hat. Es ist als Jugend- und Erwachsenenbuch für alle Leser sicherlich
hilfreich, gut geschrieben und sehr eindrucksvoll. Mich, der ich es mit 11
Jahren zum ersten Mal las, hat es bis heute nie mehr losgelassen. Unbedingte
Empfehlung!
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 19. Januar 2003 2003-01-19 09:52:57