Dieses autobiographische Werk des Autors und Hauptprotagonisten Gert Postel
handelt davon, wie er als eigentlicher Briefträger von Beruf als geschätzter
Oberarzt der klinischen Psychiatrie berühmt geworden ist. Er verhandelte mit
den Ministerialen im Dresdner Sozialministerium erfolgreich um
Leitungspositionen, schrieb psychiatrische Gutachten für sächsicher
Schwurgerichte, genoss eine Privataudienz beim Papst, diskutierte unter vier
Augen mit seinem Minister - bis eine kleine Unregelmäßigkeit seiner
schillernden Karriere ein jähes Ende setzte. Gert Postel ist ein notorischer
Hochstapler. Charmant, belesen, originell, aber: ein Hochstapler. Ein Meister
der Verstellung, der mit Witz, Chuzpe und einer großen Portion Menschenkenntnis
und Nonchalance gegenüber den Strafgesetzen seinen Traum von akademischen
Weihen (ohne Abitur...) und gesellschaftlichen Aufstieg verwirklichen wollte.
Postel fälschte Zeugnisse und Urkunden, bezirzte Professorinnen, schmeichelte
Klinikdirektoren - und er erfand sich und seine abstrusen Legenden mit jener
Leichtigkeit, die nicht nur seine Förderer für das wahre Leben hielten.
[Quelle: Auszüge aus dem Vorwort]
Dieses Werk ist ein einzigartiges Faszinosum, zugleich auch Experiment eines im
Grunde bedauernswerten Menschen. Vom eigenen Vater emotional sowie intellektuell
nicht gefördert, versucht er das Unmögliche, eine akademische Karriere in
einem gerade bildungstechnisch doch so gut durchorganisierten Staat. Das
wirklich geradezu Unverfrorene daran, die Chuzpe wie er es nennt, ist, dass ihm
dieses Vorhaben mit "akademischer Brillanz" gelingt, bis ihm
angesichts dieses Könnens dumme Fehler Grenzen offenbaren.
Genauso brillant wie diese verbrecherisch bis ins Detail ausgefeilte Tat werden
die zur Bildungselite partizipierenden Akademiker der Mediziner, Psychologen und
nicht zuletzt Juristen mit ungeheurer Eloquenz als Dilettanten entlarvt. Dabei
gelingen dem Autor besonders die für den Leser sehr überraschend auftauchenden
Seitenhiebe auf diese Berufszweige sehr gut, da diese Überraschungseffekte die
schon a priori sehr gelungenen Pointen noch geschliffener erscheinen lassen. So
unterbricht er den Erzählfluss an einer Stelle besonders gelungen und
durchdacht, indem er erzählt, warum er denn "durch und durch ein
Konservativer ist" und das "Kleinbürgerlich-Unechte bei
Schröder" verachtet.
Beeindruckend sind die zahlreichen Abbildungen von originalen Beurteilungen
leitender Oberärzte, die Gert Postel ausnahmslos mit dem Prädikat
"übertrifft die Anforderungen" bewerteten.
Jedoch ergeben sich bei näherer Betrachtung der Biographie Postels auch gewisse
Unstimmigkeiten. Beispielsweise war in live-Interviews niemals die Rede davon,
dass der überführte Straftäter im Gefängnis seine früher favorisierte
Literatur Schopenhauers unangetastet ließ, ja sogar später verbrannte. Ganz im
Gegenteil: Darin sagte er, dass er in Haft genug Zeit hatte, Schopenhauers Werke
zu studieren. Und auch die Beziehung zu der Russin Irina, die er angeblich
während seiner Haftstrafe kennen lernte, wirkt außerordentlich unglaubwürdig.
So blickt er auf eine "zehnjährige Ehe" mit ihr zurück, kann sie
aber rein rechnerisch erst im Jahre 2000 das erste mal gesehen haben, wenn man
bei den Fakten bleibt. So bleibt dem Leser auch hier der Anschein nicht
verwehrt, dass Postel abermals versucht, seinem Gegenüber (hier: dem Leser)
einen Bären aufzubinden, zu testen, wieweit er denn gehen kann.
Fazit
Blickt man über diese (nicht nur vereinzelt auftretenden) inhaltlichen
Ungereimtheiten hinweg, erlebt man ein sprachlich kunstvoll gelungenes,
groteskes Werk.
Tipp: Das Buch am Stück durchlesen, um die pittoresk gereihten, humoristischen
Einzelheiten im Gesamtkontext wirken zu lassen.
Vorgeschlagen von Christian Preihs
[Profil]
veröffentlicht am 11. Januar 2003 2003-01-11 19:42:56