Zunächst muss ich subjektiv sagen: ich bin ein Bewunderer von Stefan Zweigs
Werken. Seine Sprache ist bilderreich und ausdrucksvoll. Er schreibt packend und
fesselnd. Dies gilt auch für die vorliegende, bereits 1935 erschienene
Biographie über die schottische Königin Maria Stuart. Spannend wird der
Lebens- und Leidensweg dieser so umstrittenen Persönlichkeit dargestellt, wobei
Zweig leider die Position der britischen Königin und Gegenspielerin Elisabeth
I. nicht genug würdigt. Elisabeth I. scheint als kalte Frau, die Maria eiskalt
in die Falle laufen lässt. Zwar bilanziert auch Zweig am Ende seiner Biographie
treffend: "Moral und Politik gehen besondere Wege. Immer beurteilt man
darum ein Ereignis von völlig verschiedenen Ebenen, je nachdem, ob man es vom
Standpunkt der Humanität oder dem des politischen Vorteils wertet. Moralisch
bleibt die Hinrichtung Maria Stuarts ein völlig unentschuldbarer Akt: wider
alles Völkerrecht hatte man mitten im Frieden die Nachbarkönigin festgehalten,
heimlich eine Schlinge gedreht und ihr auf perfidete Weise in die Hände
gespielt. Aber ebensowenig läßt sich leugnen, daß vom staatspolitischen
Standpunkt gesehen, die Beseitigung Maria Stuarts für England eine richtige
Maßnahme war. Denn in der Politik entscheidet - ledier! - nicht das Recht einer
Maßnahme, sondern der Erfolg. Und bei der Hinrichtung Maria Stuarts billigt der
Erfolg im politischen Sinne nachträglich den Mord, denn er schaft England und
seiner Königin nicht Unruhe, sondern Ruhe."
Diese Bilanz ist zutreffend, dann aber bleibt mir schleierhaft, warum er die
Handlung Elisabeths, besonders im Kapitel: "Elisabeth gegen
Elisabeth", psychologisch eines der interessantesten Kapitel, die Zweig
geschrieben hat, nicht deutlicher würdigt. Treffend scheint zwar zu sein, dass
Elisabeth befreit sein möchte "von ihrer Gegnerin und doch vor der Welt
als die Großmütige und Verzeihende erscheinen." Die Szene, in der der
Staatsschreiber Davidson am 1. Februar 1587 das Todesurteil für Maria Stuart
zur Unterzeichnung bringt mit der Schilderung der bühnenreifen Komödie, die
Elisabeth anschließend inszeniert, um die Verantwortung für die Tat auf andere
abschieben zu können, ist packend beschrieben und verät immenses
Einfühlungsvermögen in das Wesen der Gegenspielerin. Gerechtigkeit
widerfahren, indem er objektiv die Gründe Elisabeths würdigt, dazu kann sich
Zweig jedoch leider nicht durchringen. Insofern bleibt die Bilanz, die Anka
Muhlstein, Verfasserin der eben erschienenen Doppelbiographie über Maria Stuart
und Elisabeth I. von England, über dessen Biographie zieht, leider zutreffend:
"Zweig, dieser höchst talentierte und erfahrene Biograph, konnte sich
nicht entschließen, Maria Stuart mit politischen Mitteln zu
kritisieren...Ebensowenig wie Schiller will er sie reinwaschen." Doch er
bewundert, dass sich Maria nicht für ihr Königtum - wie ihre Gegenspielerin
Elisabeth - entscheidet und damit die Interessen des Landes über die der
eigenen Person stellt, sondern zu ihrem Frauentum bekennt. Anna Muhlstein fährt
fort: "Der von ihr [Maria Stuart, B.N.] faszinierte Schriftsteller
entschuldigt alle Fehler seiner Heldin und wirft einen gnadenlosen Blick auf
ihre Rivalin, deren Schuld es wäre, nicht wie alle anderen Frauen zu
sein." Diese Bilanz ist völlig zutreffend, ihr ist aus meiner Sicht nichts
hinzuzufügen.
Fazit
Insofern ist die Biographie Stefan Zweigs heute nach wie vor wertvoll: als
psychologischer Roman eines Meisters dieser Form - als historische Biographie
einer Person ist sie nicht brauchbar - zu sehr pflegt sie den "Mythos"
Maria Stuarts. Insofern leider nicht zu vergleichen mit der anderen
hervorragenden Frauenbiographie, der von Marie Antoinette, und auch den anderen
Lebensbeschreibungen Stefan Zweigs, die ihn so berühmt gemacht haben. Dennoch
spannend zu lesen - als historischer Roman.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 11. März 2006 2006-03-11 20:03:46