Karl Christs Sulla-Biographie ist hervorragend. Sie bietet auf 236 Seiten eine
kompetente und prägnante Darstellung eines der "meistgehaßten
Persönlichkeiten der späten römischen Republik." Sulla verfolgte seine
politischen Gegner gnadenlos und verbreitete - so Christ - Chaos und Terror.
Seine politischen Gegner ließ er umbringen und schuf die ersten
Hinrichtungslisten, Proskriptionen, in der römischen Geschichte. "Sullas
Name wurde... zum Inbegriff von Grausamkeit und Inhumanität." Daher sei es
verständlich, dass sich Althistoriker selten ausführlicher mit Sulla
befassten. In der Tat ist das vorliegende Werk die einzig lieferbare neuere
Sulla-Biographie. Für Sulla, der eine rätselhafte und widersprüchliche
Persönlichkeit war, sei es aufgrund der unzulänglichen Überlieferungslage
besonders schwierig, eine umfassend wirklichkeitsnahe Darstellung zu geben (S.
195). Sulla sei widerspüchlich (S. 197), selbstsicher, aufgrund erlebter
Katastrophen, Niederlagen und aufgrund bestandener existentieller Krisen
rücksichtslos und entschlossen gewesen, seine Gegner nicht nur zu besiegen,
sondern auch zu vernichten (S. 198). Bei jeder Beurteilung seines Wesens sei zu
berücksichtigen, dass viele seiner Entschlüsse und Handlungen Reaktionen auf
Entwicklungen und Konstellationen gewesen seien, die durch seine Gegner
herbeigeführt worden seien (S. 198). Er sei ein meisterhafter Feldherr gewesen,
allerdings kein überragender Staatsmann und großer Politker (S. 205).
Nun gilt natürlich, dass gerade für Sulla Schillers geflügeltes Wort, bezogen
auf Wallenstein, dessen Bild in der Geschichte von der Parteien Hass und Gunst
verzerrt sei, meines Erachtens für keinen Politiker im alten Rom mehr gilt als
für Sulla. Christ selber zitiert die Begriffe: "Der letzte
Altrömer", "Monarch", "Revolutionär",
"Reaktionär", "Restaurationsterrorist",
"Außenseiter", "letzter Republikaner". Letzte Klarheit
über diese komplexe Persönlichkeit kann auch Christs Monographie nicht geben.
Besonders unbefriedigend ist, dass Sullas überraschender Rücktritt nicht
genauer reflektiert wird. Christ scheint der Auffassung zu sein, Sullas Glaube
an die Macht der Götter und seine Beachtung von Orakelsprüchen sei Hauptgrund
für seinen überraschenden Rücktritt (S. 134/35). In Anlehnung an den von ihm
zitierten Hans Volkmar vermutet der Autor, eine Weissagung der Chaldäer,
Träume sowie erste Symptome seiner Krankheit hätten seinen Entschluß, der
Macht freiwillig zu entsagen, herbeigeführt. Hier bleibt der Erklärungsversuch
meiner Meinung nach unzureichend. Wenn Christ am Ende daher bilanziert, die
Grundwidersprüche des Diktators lägen darin, dass er nur im eigensten
Interesse und in jenem seines Heeres gehandelt habe und Macht errungen habe, um
seinem persönlichen Ehrgeiz zu folgen (S.210/11), so scheint mir diese Analyse
zu einseitig zu sein und Sullas widersprüchlicher Persönlichkeit nicht gerecht
zu werden. Stefan Zweig hat geschrieben: Man suche nach Beispielen freiwilligen
Entsagens in der Weltgeschichte: außer Sulla und Karl V. fände man keine
weiteren Beispiele. Dies ist korrekt und zeigt mir, dass hier noch
Forschungsarbeit zu leisten ist, um Sulla gerecht zu werden.
Vorzüglich ist Christ hingegen die Schilderung der Zeit, in die Sulla
hineingeboren wurde, gelungen. Krise und Untergang der römischen Republik
werden hervorragend dargestellt, wobei sich der Autor auf eigene Arbeiten (etwa:
Krise und Untergang der römischen Republik) stützen kann. Hervorragend auch
neben der Zeitgeschichte das Kapitel "Wirkung", bei der es um die
Einschätzung von Sullas Persönlichkeit geht. Seine Wirkung auf die
Zeitgenossen wird bis in die Zeit Caesars nachgezeichnet (S. 154/55).
Insbeondere Sulla-Gegner Cicero wird für das negative Bild des Diktators als
antike Quelle herangezogen (S. 157), was anhand der berühmten Verteidigungsrede
Ciceros auf Sextus Roscius aus Ameria, in dem Cicero besonders Sullas Günstling
Chrysognos angriff (vgl. S. 118), präzisiert wird. Cicero scheute sich nicht,
als junger Anwlalt den allmächtigen Diktator zu dessen Lebzeiten anzugreifen
(vgl. auch den Roman: "Das Lächeln des Cicero" von Stephen Saylor).
Auch die kontroverse Einschätzung Sullas in der modernen Geschichtswissenschaft
wird beleuchtet, wobei sogar noch ein erst im Jahre 2000 erschienenes
Sulla-Portrait des Kölner Althistorikers Hölkeskamp herangezogen wird (S.
189). Es handelt sich hierbei um ein - wie ich finde - hochinteressantes Kapitel
(S. 167-194), bei der auch eine kurze Rezeptionsgeschichte in
kulturgeschichtlich-künstlerischer Perspektive gegeben wird (S. 192-194). Auch
die abschließende Bibliographie ist gut stukturiert und unterteilt in
Forschungsberichte, Quellen, Übersetzungen, Kommentare Sekundärliteratur zu
den Quellen und Monographien und Einzelstudien, wobei auch hier Materialien bis
ins Jahr 2002 (Nachtrag) herangezogen werden. Aktueller geht es wirklich nicht.
Fazit
Fazit: Eine hervorragende, insgesamt faszinierende Biographie, die ein im
großen und ganzen negatives Bild des römischen Politikers zeichnet. Sie ist
gut lesbar und für Erstinformation, aber auch für Fachleute sehr gut geeignet,
da der Autor, emeritierer Professor für Alte Geschichte an der Universität
Marburg, kompetent und spannend dem interessierten Leser diese interessante
Persönlichkeit aus dem alten Rom nahebringt.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 04. Januar 2003 2003-01-04 00:00:01