Jason Starr hat hier einen hervorragenden Thriller in der Tradition von James M.
Cain und Jim Thompson geschrieben. In Ich-Perspektive berichtet der
Telefonverkäufer Bill Moss über sein Abgleiten in die Kriminalität. Bill
Moss, knapp über 30, wohnt in New York mit seiner jüdischen Freundin Julie
zusammen. Obwohl er glänzende Qualifikationen aufweisen kann, findet er keine
Stelle in der ihn interessierenden Werbebranche. Vorübergehend arbeitet er in
der Firma A.C.A. als - unterbezahlter - Telefonverkäufer und ist Mobbing und
anderen Schikanen seiner Vorgesetzten hilflos ausgeliefert. Dennoch gelingt es
ihm, in der Firma aufzusteigen und die Sympathien seines direkten Vorgesetzten
zu erlangen. Da Moss sich aber mit dem Präsidenten der Firma noch besser
versteht als mit seinem unmittelbaren Chef, sieht dieser seine Position in
Gefahr und kündigt Moss. Daraufhin dreht dieser durch und bringt seinen
Vorgesetzten um. Ob der Mord unentdeckt bleibt...
"Jason Staarr zerrt vor allem dadurch an den Nerven, dass er mit der neuen
kollektiven Angst vor wirtschaftlichem Abstieg und Arbeitslosigkeit spielt"
heißt es auf der Rückseite des Buchumschlages. Doch noch mehr: der Workaholic
Bill kann Niederlagen nicht verkraften; endlich will er so viel "wert"
sein wie die - snobbistischen - Freunde seiner Freundin. Als er wieder
"nach unten gestoßen" werden soll, wird er aus Verzweiflung zum
Mörder.
Der Ich-Erzähler ist keineswegs sympathisch. Der Leser kann mit Schrecken
verfolgen, wie der gefürchtete Verlust vor sozialer Sicherheit und Anerkennung
einen normalen Durchschnittsmenschen zum Mörder werden lassen. Mir ging es so:
zeitweise - insbesondere beim Mord an seinem rassistischen Vorgesetzten - kam
bei mir sogar "Mitleiden", ja ein gewisses Verständnis für den
Täter auf. Der Plot ist voller Überraschungen, wenn auch nicht alle Charaktere
differenziert ausgefeilt sind. An James M. Cain und Jim Thomas kommt Jason
Starrs Werk daher meines Erachtens nicht ganz heran; zu
"eindimensional" sind die Charaktere gezeichnet. Auch der Schluss
konnte mich nicht ganz überzeugen; er wirkt etwas "weit" hergeholt
und etwas aufgesetzt. Der - unentdeckte - Mord soll nicht straflos bleiben...
Fazit
Insgesamt jedoch ein überdurchschnittlich spannender und sehr bösartiger
Thriller, der mich nachdenklich zurückgelassen hat; neben der Handlung regt er
dazu an, darüber nachzudenken, inwieweit bereits die Furcht vor sozialem
Abstieg, mangelnder Anerkennung im Freundeskreis und anderer Beziehungen den
Einzelnen zu Verbrechen befähigt, an die er zuvor nicht denken wollte. Hat denn
jeder den "Mörder in sich" - um einen Titel von Jim Thompson zu
zitieren, in dessen rabenschwarzer Tradition Starr steht?
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 28. Oktober 2005 2005-10-28 14:45:17