Gerd Koenens Studie über den Kommunismus ist eine der besten Analysen über das
sowjetische kommunistische System, welches ich gelesen habe. Koenens These ist,
dass der Kommunismus im wesentlichen die Utopie einer totalen Säuberung,
Homogenisierung und Gleichschaltung einer Gesellschaft gewesen sei. Dies habe
sich letztlich als nicht einlösbar erwiesen.
Eindrucksvoll und plastisch beschreibt Koenen die totalitäre Herrschaftspraxis
des Kommunismus unter Lenin und Stalin. Angeregt wurde er zu dieser Studie durch
das "Schwarzbuch des Kommunismus", dessen Verdienst er zwar lobt. Mit
dem Vorwort des Herausgebers Stephan Courtois ist er jedoch nicht einverstanden,
was ihn - unter anderem - zu diesem Buch veranlasst hat. Eindrucksvoll schildert
Koenen, wie aus einer Utopie ein menschenverachtendes System der
Gewaltherrschaft wurde(Schwerpunkt der Darstellung sind die Zeit Lenins und
Stalins, die folgenden Jahre werden dann nur noch gestreift). Nach Stalins Tod
sei zwar das Monopol der Partei erhalten geblieben, doch der Prozess des Abbaus
des Massenterrors blieb unumkehrbar. Das nachstalinistische System könne als
"posttotalitär" bezeichnet werden.
Die menschenverachtende Politik der Bolschewisten wurde schon bei der
Machtergreifung 1917 und der Auflösung der Konstituante im Januar 1918
deutlich. Den Kommunisten ging es um die Zerschlagung der Gesellschaft und des
Bürgertums. Hier - so Koenen - läge der entscheidende Unterschied zum Aufstieg
des Nationalsozialismus, der, die im Gegensatz zu den Kommunisten den
bestehenden Staat nicht zerschlagen hätten, sondern diesen - mit aktiver
Unterstützung der regierenden Eliten - nach ihren Bedürfnissen "ummodeln
und durch eigene parallele Apparate ergänzen und kontrolliren" konnten (S.
272)". Koenen meint, dass die kommunistischen Regime dem Begriff einer
"totalitären" Gesellschaft erstmals wirklich nahegekommen seien. Die
Geschichte des Kommunismus lasse sich nicht in erster Linie als die einer
"Idee", einer "Ideologie", einer "Illusion" oder
eines "Wahns" beschreiben, wie dies Francois Furet oder Martin Malia
in vergleichbaren Publikationen getan haben. Zu untersuchen sei die Frage, aus
welchen Motiven und unter welchen historischen Bedingungen Menschen begannen,
mit dem historischen Sozialismus zu brechen und neue "kommunistische"
Parteien zu gründen oder sich ihnen anzuschließen. Koenen zeigt, dass es sich
beim Kommunismus um das ungeheuerste "Experiment" des 20. Jahrhunderts
gehandelt hat. Mit diesem verknüpfe sich die erste politische Massenbewegung
der Geschichte, die internationalen Charakter hatte und Menschen völlig
unterschiedlicher Kulturkreise und Herkunft anzog. Diesen Fragen geht Koenen mit
einer beeindruckenden Sachkenntnis nach.
Fazit
Selten gibt es eine so fesselnd zu lesende und dennoch kompaktreiche Darstellung
des Phänomens des Kommunismus. Koenen berücksichtigt Ereignis-, Ideologie-,
Wirtschafts- und Kulturgeschichte ohne die Verbrechen des Kommunismus zu
verharmlosen. Sie ist leichter zu lesen als Furets voluminöse oder Malias eher
trockene und schwer zu lesende vergleichbare Darstellung. Es handelt sich in der
Tat um ein meisterhaftes Werk eines langjährigen Experten auf diesem Gebiet.
Als Ergänzung empfehle ich Wolfgang Leonhards jetzt neu aufgelegten Klassiker:
"Die Revolution entlässt ihre Kinder", der das gleiche Thema
behandelt und den selben Fragen anhand der eigenen Autobiographie nachgeht. Auch
er wandte sich - wie Koenen - vom Kommunismus ab und beschreibt scharfsinnig das
Phänomen des "real existierenden" Kommunismus. Beide Bücher sind
daher unbedingt lesenswert und als Beschäftigung mit dem Thema unverzichtbar.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 22. Oktober 2005 2005-10-22 19:01:23