Im Sommer 1939, kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, bereiste ein aus
Neuseeland stammender Historiker Deutschland. Im Gepäck hatte er einige
Vorabexemplare seines neuesten Werks namens "The Roman Revolution", in
welchem der Autor extensiv auf das Hilfsmittel der Prosopographie
zurückgegriffen hatte - einer wissenschaftlichen Methode der systematische
Erforschung eines bestimmten Personenkreises, in diesem Falle der
spätrepublikanischen Eliten Roms; eine Methode, die vor allem in der deutschen
Geschichtswissenschaft gebraucht wurde. Dieser Historiker hieß Ronald Syme, und
ihm dürfte bei seinem Besuch die drückende Vorkriegsstimmung in Deutschland
nicht entgangen sein. Sir Ronald Syme (er wurde Jahre später zum Ritter
geschlagen) war nicht nur ein bemerkenswerter Althistoriker - so gilt er nicht
zu Unrecht als einer der einflussreichsten Althistoriker überhaupt - sondern
auch ein durchaus politischer Mensch. Persönlich eher ein Konservativer, hatte
er mit erheblichen Missfallen den Aufstieg des Faschismus in Europa beobachtet.
In seiner "Roman Revolution" fanden sich denn auch einige Parallelen
zwischen dem spätrepublikanischen Rom und dem Europa der Dreißiger Jahre des
20. Jahrhunderts, in welchem in zahlreichen Ländern die Bevölkerung
vermeintliche Sicherheit in einem starken Staat suchte, der dabei Stück für
Stück die bürgerlichen Freiheiten beseitige und sich in eine Diktatur
verwandelte - wie in Italien, Deutschland und Spanien.
Das Rom der späten Republik hatte sich längst selbst überlebt: Nach
Jahrhunderten der Expansion war das römische Reich gegen Ende des 2.
Jahrhundert v.Chr. in eine tiefe innenpolitische Krise geraten, die symbolisch
personifiziert wurden durch zwei locker organisierten politische Gruppierungen
innerhalb des Senats: Die "Optimaten" standen für eine konservative
Senatspolitik, während die "Popularen" sich nicht zu schade dazu
waren, das einfachen Volk und die Volksversammlungen für ihre Pläne
einzuspannen. Hinzu kam, dass zahlreiche weitreichende militärische Kommandos
die Macht einzelner Generäle derart gestärkt hatten, dass deren Soldaten sich
eher diesen als dem Senat verpflichtet sahen und die Militärs somit immer mehr
zu einer Gefahr wurden, wobei der Senat jedoch oft genug die Lage unnötig
verschärft hatte und erfolgreiche Generäle vor den Kopf gestoßen und ihnen
die Versorgung ihrer Soldaten verweigert hatte.
Symes Darstellung setzte um das Jahr 60 v. Chr. ein und endete mit dem Tod des
Gaius Octavius Thurinus, besser bekannt unter seinem Ehrennamen Augustus, im
Jahre 14 n. Chr. Er behandelte damit eine bewegte Zeit, in der sich die
"res publica libera" in eine Monarchie mit republikanischer Fassade
verwandelte. Syme Hauptaugenmerk galt dabei dem Handeln des Augustus, des ersten
römischen Kaisers, der es schaffte, der zerbröckelnden und von Bürgerkriegen
zerrissenen Republik wieder Ruhe und Sicherheit zu schenken, der eine neue und
stabile staatliche Ordnung herstellte und der die längste Friendensperiode
einleitete, die der Mittelmeerraum bis heute erlebt hat. Augustus gilt nicht zu
Unrecht als einer der größten Staatsmänner der Geschichte, der noch dazu von
einer ungleich schlechten Ausgangsposition begann. Den Respekt versagt ihm auch
Syme nicht, doch sieht er in Augustus auch gleichzeitig den Totengräber der
letzten republikanischen Freiheiten und einen Mann, der, wenigstens in den
ersten Jahren, bedenkenlos über Leichen ging, um sein Ziel zu erreichen.
Damit folgt Syme seinem historischen Vorbild Tacitus, dem großen römischen
Historiker, der sich im 1. nachchristlichen Jahrhundert keiner Illusion darüber
hingab, dass die Republik mit Augustus endgültig zu Grabe getragen wurde und
dass die Sicherheit der neuen Ordnung mit dem Verlust der (allerdings auch in
der Zeit der Republik nur eingeschränkt vorhandenen) Freiheit bezahlt wurde.
Syme zeigt deutlich auf, dass die Römer der endlosen Krise müde waren, dass
viele der großen Familien nur auf den eigenen Vorteil bedacht waren und ihre
Interessen über die des Gemeinwesens, der "res publica" stellten.
Syme deckte in seinem Werk die Familiennetzwerke der Oligarchie auf und
erklärte damit auch in weiten Teilen das Versagen des römischen Staates in der
Zeit seiner größten Gefahr, die ironischerweise nicht von außen, sondern vom
Inneren ausging. Aus dem Kampf um die Macht ging schließlich der siegreich
hervor, der die Verhältnisse am geschicktesten zu manipulieren wusste und dabei
vor allem die Armee gewann, auch wenn Augustus kein großer General war; man mag
sogar sagen: ihm ging diese Befähigung gänzlich ab, wofür er sich aber sich
mit hervorragenden Generälen (wie seinem Jugendfreund Agrippa) zu umgeben
wusste. Schließlich beschreibt Syme auch die Verhältnisse im augusteischen
Staat, dem "Prinzipat". Die Revolution des Augustus war eine
konservative, in der er die Eliten mit einbezog und gleichzeitig das Heer
demobilisierte und an den Grenzen stationierte.
Symes Darstellung war und ist ein literarisches Meisterwerk und, besonders was
die prosopographischen Details angeht, eine wahre Fundgrube an historischen
Informationen. Symes Stil ist sehr eindringlich; nie nahm er sich völlig
zurück und oft sind Passagen durchtränkt von Ironie. Das Werk ist eines der
meistgelesensten zur römischen Geschichte und gilt noch heute als ein
Standardwerk. Allerdings wurde es in Deutschland weniger stark rezipiert, wobei
sicherlich die insgesamt negative Charakterisierung des Augustus eine Rolle
spielte, die so in der deutschen Geschichtswissenschaft von der Mehrheit nicht
geteilt wurde.
Besonders erwähnt werden muss aber auch die deutsche Neuausgabe: Die
Übersetzung wurde gründlich überholt, auch alle Anmerkungen des
Originaltextes sind enthalten. Sowohl das Nachwort von Werner Dahlheim (noch aus
einer älteren Ausgabe übernommen) als auch der Essay von Uwe Walter sind sehr
nützlich zur Orientierung für die Leser, die von Hause aus vielleicht weniger
Wissen über diese faszinierende Zeit mitbringen. Zudem ist diese Ausgabe
höchst geschmackvoll gestaltet und mit zahlreichen Abbildungen versehen, die
den Text etwas auflockern.
Fazit
Wer sich auch nur einen Funken für das alte Rom, die Zeit des Augustus oder
generell für Geschichte interessiert, kann bedenkenlos auf dieses Schmuckstück
der Historiographie zurückgreifen. Aber auch für den politisch interessierten
Leser dürfte dieses Buch nicht ohne Reiz sein, wird doch auch beschrieben, wie
eine staatliche Ordnung auf völlig neue Grundlagen gestellt wird und eine
Bevölkerung, die Freiheit gegen Sicherheit tauscht, dies auch ohne besonders
großen Widerspruch akzeptiert.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 16. Oktober 2005 2005-10-16 17:07:48