Sebastian Haffners Buch:: "Die deutsche Revolution 1918/19" (auch
unter dem Titel: "Der Verrat" bei einem anderen Verlag
erschienen)behandelt das Ende des ersten Weltkriegs und die deutsche Revolution
von 1918/19. Verdienstvoll an Haffners Studie ist, dass er eindeutig mit der
sogenannten "Dolchstoßlegende" aufräumt, die besagt, dass das
deutsche Heer von hinten "erdolcht" und nicht im Felde besiegt worden
sei. In der Tat verlangte insbesondere General Ludendorff im September 1918
ultimativ von den Politikern die Kapitulation. Er wollte - so Haffner zutreffend
- dass die zivilen Politiker der Friedensparteien SPD, Zentrum und
Linksliberalen, die seit 1917 unter Führung Erzbergers auf einen
Verständigungsfrieden mit den Westmächten hingearbeitet hatten, nun nach dem
Ende der Niederlage die Verantwortung für den Friedensschluß übernehmen
sollten, der eigentlich den Militärs und der Reichsleitung zukam. Haffner
arbeitet gut heraus, wie die führenden Militärs selbst die zivile
Reichsleitung in die Irre geführt haben.
Haffner bestreitet dann allerdings, dass es sich bei den sogenannten
Revolutionären von 1918/19, insbesondere den Kieler Matrosen um radikale
Kommunisten gehandelt habe, die eine Diktatur nach dem Vorbild der russischen
Bolschewisten hätten errichten wollen. Im Gegensatz zur herrschenden
westdeutschen Geschichtsschreibung, etwa den Werken von Karl-Dietrich Bracher
oder Heinrich-August Winkler sieht er in den Matrosen irregeleitete Idealisten,
die von den SPD-Politikern Ebert und Noske verraten worden seien. Diese hätten
ein Bündnis mit den herrschenden Eliten (Ebert-Gröner-Pakt) gesucht und sich
somit mit den späteren Totengräbern der Weimarer Republik selber eingelassen.
Dies ist - kurzgefasst - die These Haffners. Sie ist jedoch nicht objektiv.
Theodor Wolff, der große Journalist des Berliner Tageblattes, der später von
den Nationalsozialisten verfolgt und grausam ermordet worden ist, hat
anläßlich des Todes Friedrich Eberts im Februar 1925 erklärt: Wenn die
Kommunisten und Bolschewisten, denen er [Ebert] den Weg zur Macht im letzten
Moment versperrte, ihn hassten, so bliebe dies erklärlich und man möge dies
den Enttäuschten verzeihen. Wenn aber die Gegner der Republik von rechts Ebert
die angemessene Würdigung versagten, so sei dies schnöder Undank. Ebert war
vielmehr ein sehr weitsichtiger Politiker. Er wollte die Demokratie - aber auch
die Monarchie erhalten, denn er wußte, dass eine gewisse Kontinuität für das
Gedeihen des neuen Staatswesens nötig war angesichts der zahlreichen Umbrüche,
die auf die demoralisierte und verunsicherte Gesellschaft zukam. Immerhin hatte
die Monarchie in Deutschland eine lange Tradition. Und ist es denn von der Hand
zu weisen, dass eine parlamentarische und konstitutionelle Monarchie zu jener
Zeit eher dazu beigetragen hätte, die "deutsche Katastrophe", den
Abfall in das Hitler-Regime zu verhindern als eine Republik, die niemand wollte
oder eine Räterepublik, die Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht favorisierten
und die sehr wohl zu einer kommunistischen Diktatur hätte führen können?
Haffner setzt sich mit diesen Gründen - und diese bestimmten die Gedankengänge
Eberts und Noskes damals - nicht genügend auseinander. Nicht Ebert und Noske,
sondern Hindenburg und Ludendorff waren die Totengräber des neuen Systems,
indem sie diesem die Schuld für ihre Niederlage aufhalsten und die
Dolchstoßlegende schufen und es war Hindenburg, der als Reichspräsident 1933
Hitler ernannte und damit der Weimarer Republik den Todesstoß versetzte - nicht
Ebert und Noske. Insofern fehlt es Haffner hier - im Gegensatz zu seinen
sonstigen Büchern - an Weitblick und Objektivität. Dies ist aus meiner Sicht
zu kritisieren. Dennoch: seine Aussagen zur Rolle der Militärs am Kriegsende
sind treffend und seine Thesen pointiert und streitbar - wie immer.
Fazit
Das Buch ist spannend geschrieben und zwingt den Leser, gegen den Stachel zu
denken. Insofern dennoch lesenswert. Aus obigen Gründen aber nicht - wie die
anderen Bücher Haffners - mit voller Punktzahl zu bewerten.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 07. August 2005 2005-08-07 16:22:20