Wer erinnert sich nicht an die Kuba-Krise, die die Welt an den Rande des
atomaren Abgrunds brachte? Jetzt, 40 Jahre nach den Ereignissen, ist mit dem
vorliegenden Band eine wirklich herausragende Studie entstanden, die - basierend
auf neuesten Quellen und einem umfangreichen Literaturverzeichnis, eine gute
Darstellung und Einführung in die "Kuba-Krise" gibt. Eindrucksvoll
ist die Studie insbesondere deswegen, weil auch Protokolle des sowjetischen
Politbüros ausgewertet werden. Zwar sind die Fakten durch Micael R. Beschloss
Studie: "JFK: Die Kennedy-Jahre 1960-1963", auf sowjetischer Seite
durch die Studie: "
Die
sieben Führer" bekannt. Auch die Memoiren Robert Kennedys und des
damaligen Sowjet-Botschafters Anatolij Dobrynin runden das Bild ab.
Vorgeschichte, Ablauf und Konsequenz der Kuba-Krise werden gut lesbar und
detailliert dargestellt. Im Gegensatz zu den eher kennedy-kritischen Studien von
Bernd Greiner:
"Kuba-Krise" (Nördlingen, 1988) und der erwähnten Publikation von
Beschloss wird das Krisenmanagement von Kennedy gelobt: "Doch so groß der
Anteil an Bluff, Intrige und Zynismus gewesen sein mag - in den "dreizehn
Tagen" stand Kennedy mit dem Rücken zur Wand. Es gelang ihm schließlich,
gegensätzliche Kräfte auszugleichen, einen Triumpf der Falken zu verhindern,
die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen und er vollbrachte es, Chruschtschow
zum Rückzug zu bewegen und am Ende auch noch als Sieger dazustehen. Unter dem
Gesichtspunkt eigener Staatsräson sicher eine Erfolgsbilanz. Der Preis war ein
enormes Risiko - auch für andere. Manche werfen ihm vor, er habe den Konflikt
zu hoch geschaukelt, um es allen recht zu machen, er habe den populären Kampf
gegen den Kommunismus zu weit getrieben und dabei Maximen westlichen Denkens
verletzt.... Zeitzeugen in Europa, vor allem in Deutschland, haben andere
Erfahrungen. Für sie ist Kennedy geradezu Inkarnation der Freiheit... Sicher -
das Kennedy-Bild hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in vielen hinsichten
relativiert. Doch nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass er Freiheit
garantierte, dass mit seiner Regierung ein Ruck durch die Welt ging, durch
Europa, durch Deutschland - hin zu mehr Offenheit und Entspannung. Man darf ihm
abnehmen, es ging ihm nicht nur um die Macht, es ging auch um Visionen."
Diese Einschätzung teile ich. Man muss bedenken, wie groß der Druck der
Militärs im Ex-Comm, dem Beratungsgremium des Präsidenten zugunsten einer
Invasion oder eines Luftangriffes gewesen ist. Unter diesem Druck stand der
sowjetische Parteichef Chruschtschow offensichtlich nicht. Wie wir von
Wolkogonow wissen, hatte er nicht
die geringsten Einwände gegen potentielle Atomangriffe auf die Vereinigten
Staaten (Wolkogonow:
Die
sieben Führer, S. 243). Was Chruschtschow in diesem Band - mit Recht -
besonders vorgeworfen wird, ist, dass er mit Forderungen nachlegte, als er
bereits als Lösung den Rückzug der Raketen auf Kuba angeboten hatte. Seinem
diesbezüglichen Schreiben vom 26.10.2002 ließ er am 27.10.2002 ein weiteres
Schreiben folgen, welches den Abbau der (veralteten) türkischen Jupiterraketen
(welche denn auch leise 1963 abgezogen wurden) zur Bedingung einer Beilegung der
Krise machte. Letztlich aber gab er nach - insbesondere unter dem Eindruck des
von untergeordneten sowjetischen Militärs eigenmächtig durchgeführten
Abschusses der U2 und eines Telegramms von Castro, der Chruschtschow unverhüllt
aufforderte, wegen Kubas einen Atomkrieg zu führen. Dies wollte Chruschtschow
nie. Er war ein unverantwortlicher Pokerspieler. Aber letztendlich war er auch
weise: in senen Memoiren schrieb er - sie werden hier zitiert: "Jeder Narr
kann einen Krieg beginnen, und hat er es erst einmal getan, wissen selbst die
weisesten Männer keinen Rat, den Krieg zu beenden - vor allem, wenn es ein
Atomkrieg ist." Wie gefährlich die Krise war, wird durch die - bereits in
früheren Publikationen erwähnte und auf einer Konferenz 1987 enthüllte
Tatsache deutlich, dass sich bereits taktische Atomwaffen 1962 auf Kuba
befanden. Dies wußten aber die Amerikaner nicht! Insbesondere der Generalstab
ging teilweise noch davon aus, einen Krieg in Kuba mit konventionellen Waffen
führen zu können. Frösteln kann einen heute noch die Tatsache, dass führende
Militärs einen Atomkrieg für gewinnbar hielten.
Auch die Tatsache, dass General Powers, Kommandeur der stratetischen
Luftstreitkräfte, die amerikanischen Streitkräfte ohne Verschlüsselung in
Alarmbereitschaft setzen ließ, um Chruschtschow zu erschrecken (gegen die
ausdrückliche Weisung der zivilen Führung um Verteidigungsminister MacNamara),
zeigt, wie unverantwortlich auf beiden Seiten - insbesondere bei untergeordneten
Stellen - teilweise gehandelt wurde. Dass die Krise überstanden wurde, ist
neben der besonnenen Haltung Kennedys und dem Nachgeben Chruschtschows
unwahrscheinlichem Glück zu verdanken. So hätte ein hungriger Bär in
Minnesota, der für einen unbekannten Eindringling gehalten wurde, beinahe den
Atomkrieg ausgelöst - ebenso wie zahlreiche andere Faktoren, die in diesem Buch
beschrieben werden.
Fazit: die Menschheit kann von Glück reden, dass sie noch existiert. Diese
gefährlichste Krise der Nachkriegszeit gut dargestellt zu haben, ist ein
Verdienst des Autors, der - im Jahr der Kuba-Krise geboren - stellvertreetender
Leiter der ZEF-Redaktion Zeitgeschichte ist.