Kristus ist ein Roman über große Ideen und Ideale sowie den Terror ihrer
Verwirklichung. Robert Schneider hat damit einen Geschichtsroman geschrieben,
der die Gegenwart gleichermaßen betrifft. Er erzählt vom Glauben an eine
bessere Welt und der verzweifelten Suche nach Sinn, der vielleicht erst in der
Zukunft oder im Jenseits seine Bestätigung findet. Mit Kristus widmet sich
Schneider also nichts Geringerem als den Grundfragen der Menschheit, die gerade
heute aktuell sind, denn es geht um Fanatismus. Während die Öffentlichkeit
nicht müde wird, vor den Gefahren des islamischen Fundamentalismus zu warnen,
legt Schneider ein Buch vor, in dem christliche Gruppierungen dem islamistischen
Anspruch auf den alleinigen Besitz der Wahrheit in nichts nachstehen. Mit leiser
Stimme zeigt er, daß vor Gott in der Tat alle Menschen gleich sind - gleich in
ihrer Sehnsucht, die in Grausamkeit mündet.
Jan Beukels, aus kleinen Verhältnissen in Leyden stammend, ist als Prophet und
König der Wiedertäufer in die Annalen des bewegten 16. Jahrhunderts
eingegangen. Einfühlsam und überzeugend schildert Schneider die frühe
Orientierungslosigkeit des Jungen Jan, der unzufrieden ist und doch nicht recht
weiß womit. Bis er auf einer Palmsonntagsprozession dem Christusdarsteller
begegnet und sieht, wie die Massen dem Erhabenen zujubeln. Da erhält seine
namenlose Ziellosigkeit eine Richtung: Er will Christus werden. Schließlich
schließt er sich den Wiedertäufern an, einer Sekte, die den Weltuntergang
predigt und die Scheinheiligkeit und Ruchlosigkeit der katholischen Kirche
anprangert. Wird er von den Anhängern eher durch Zufall zum Propheten erhoben,
erliegt er schon bald dem Rausch der Macht. Jan Beukels herrscht in Münster als
despotischer Tyrann, sein Fanatismus macht ihn blind für die eigene
Grausamkeit. Die Schreckensherrschaft endet mit seiner Hinrichtung als Ketzer.
Fazit
Mit bewunderungswürdigem sprachlichen Feingefühl läßt Robert Schneider das
Europa des 16. Jahrhunderts vor uns entstehen. Die verzweifelte Rastlosigkeit
und das ziellose Herumirren Jan Beukels wird eindringlich geschildert.
Schwächen weist der Roman jedoch auf, als es um die Entwicklung des Sinnsuchers
zum Despoten geht. Wer ein Psychogramm des Protagonisten erwartet, wird
enttäuscht. Gerade am interessantesten Punkt, dort, wo sich Idealismus in
Dogmatismus wandelt, flüchtet Schneider von einer Innensicht der Hauptfigur in
die rein äußerliche Darstellung der Handlung.
Dennoch hat Robert Schneider hier einmal mehr sein erzählerisches Können unter
Beweis gestellt. "Sie wollten das Paradies und brachten die Hölle."
Solche Sätze lassen sprachverliebte Herzen höher schlagen.
Vorgeschlagen von Henrike Doerr
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veröffentlicht am 05. Mai 2005 2005-05-05 19:17:19