Über Josef Stalin ist sehr viel publiziert worden. Im Deutschen gibt es die
Biographien von Isaac Deutscher, Robert Payne,
Maximilien Rubel,
Robert Conquest, Allan Bullock
(Hitler und Stalin: parallele Leben) und
Dimitri Wolkogonow. Außerdem gibt
es - auf dem neuesten Forschungsstand basierend - den biographischen Abriss
über Stalin von demselben Autor in seinem Buch: "
Die sieben Führer". Hilfreich
als Skizzen zu Stalin sind außerdem die Werke Leo Trotzkis (psychologisch die
beste Stalin-Studie), der biographische Abriss von Gisbert Krantz in: "Acht
Despoten" sowie von Michail Voslenski in: "Sterbliche Götter".
Jeder Neuansatz sollte also entweder etwas Neues bieten - nach einer
Feststellung von Gisbert Krantz ist über keinen Politiker mehr publiziert
worden als über Stalin - oder eine gute Zusammenfassung bieten.
Letzteres gelingt dem Autor, der Ordinarius für osteuropäische Geschichte an
der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg ist. Die Reihe: "Persönlichkeit
und Geschichte" aus dem Verlag Muster-Schmidt bietet biographische solide
Grundinformationen. Dies geschieht auch mit diesem Werk, welches die aktuellste
Biographie auf dem Markt ist.
Wichtige Fragen, etwa ob Stalin Agent der Ochrana, der zaristischen
Geheimpolizei war oder die Verantwortung Stalins für den Mord an Kirow (vgl.
hierzu den historischen Roman: "Die Kinder vom Arbat" von
Rybakow) werden gestellt und
möglichst beantwortet. So hält der Autor Stalins Verantwortung für den Mord
an Kirow für erwiesen an (Band 2, S. 254). Für die These, dass Stalin
Polizeiagent gewesen sei, fehlten bislang jedoch eindeutige Belege (Band 1, S.
58). Was eventuelle Offensivpläne Stalins gegenüber Deutschland angeht, die in
der Forschung heute noch sehr umstritten sind, beschränkt sich der Autor
darauf, den Stimmungswandel gegenüber Deutschland zu beschreiben (Band 2, S.
310-313). Letztendlich bleibt er hier sehr vorsichtig: "Möglich also, wenn
auch nicht beweisbar, dass Stalin den Angriff gegen Hitler-Deutschland plante
und wohl sogar noch im Jahre 1941 begonnen hätte." Insgesamt übt der
Autor also in allen strittigen Forschungsansätzen eher vorsichtige
Zurückhaltung (vgl. hierzu auch seine Bilanzierung des diesbezüglichen
Forschungsstandes in Band 2, Kapitel 14: Literaturhinweise, S. 413/14.)
Insgesamt entsteht ein faszinierendes persönliches Portrait Stalins, dessen
Aufstieg zum Diktator hervorragend nachgezeichnet wird. Das Verhältnis zu
Lenin, sein Aufstieg zur Macht wird ebenso dargestellt wie Stalins Verhalten im
Kriege. "Neues" im Sinne neuer Thesen oder Enthüllungen findet sich
jedoch nicht. Eindrucksvoll wird die politische und wirtschaftliche Entwicklung
Rußlands nachgezeichet, wenn auch aus konservativer Sicht (so hält es der
Autor für richtig, dass die Bauern 1861 nicht wirklich befreit wurden, da
dieses einen Rückgang der Produktion und der Marktleistung der Bauern mit sich
gebracht hätte (Band 1, S. 15). Hier stellt sich Loewe meines Wissens in
Gegensatz zu zahlreichen, wenn auch nicht allen Fachkollegen (etwa Manfred
Hildermeier oder Christian Schmidt-Häuer).
Wie auch immer: als Einführung in das Leben Stalins für Interessierte ist das
Werk, welches in 2 Teilbänden erschienen ist, gut geeignet.
Zu bemängeln ist, dass - etwa im Gegensatz zur Biographie Rubels - der Ideologe
Stalin und die Ideologie des Stalinismus meines Wissens zu wenig
herausgearbeitet wird: Zu sehr scheint es die Machtgier des Diktators zu sein,
seine - gut beschriebene - Skrupellosigkeit und Intelligenz, die seinen Aufstieg
ermöglichen. So fehlen im Literaturverzeichnis Untersuchungen zur Ideologie des
Stalinismus, etwa von Stefan Plaggenborg, dessen Studie lediglich in anderem
Zusammenhang erwähnt wird. Wer hier neuere Forschungsliteratur sucht, sollte
das im Jahre 2002 erschienene Werk: "Diktaturen im Vergleich" von
Detlef Schmiechen-Ackermann (Kapitel d: Nationalsozialismus und Stalinismus, S.
162) mit heranziehen. Auch die Auwirkungen des Stalinismus auf die Denkhaltungen
der Bevölkerung bis heute werden am Schluss lediglich bilanzierend und
kursorisch abgehandelt. Besser ist hier die Stalin-Biographie von
Robert Conquest, die in der
annotierten Literaturliste leider nicht erwähnt wird. Hervorragend, wenn auch
leider ebenfalls in der Literaturliste des Autors vollkommen ausgespart sind Roy
Medwedjews dreibändiges Werk über Stalin und den Stalinismus ("Das Urteil
der Geschichte", Dietz-Verlag)
Kritisch anzumerken ist ferner, dass keine Fußnoten benannt sind - auch bei
Zitaten im Text. Dies müßte möglich sein. Gut ist das kommentierte
Literaturverzeichnis am Ende, welches den aktuellen Forschungsstand gut
wiedergibt, wenn auch einige Biographien oder Quellen (etwa die von Conquest)
ausgespart wurden.