Das vorliegende Buch von Ewald Klie ist erschienen im Rahmen der Reihe:
"Kontroversen um die Geschichte". Wie die anderen Bände der Reihe ist
auch dieses Buch in erster Linie als Studienliteratur konzipiert. Ihr Ziel ist
es, Studierenden die Vorbereitung auf Lehrveranstaltungen und Examenskandidaten
auf ihre Prüfungen vorzubereiten. Ähnlich wie die Bücher der Reihe:
"Grundriss der Geschichte" aus dem Oldenbourg-Verlag werden hier die
neuesten Forschungsergebenisse und -kontroversen über Themen der Geschichte
dargelegt. In der vorliegenden Reihe geschieht dies im Bereich der neueren
Geschichte vom 16. Jahrhundert bis zur Zeitgeschichte.
Ewald Klie stellt in der Einleitung zunächst Gesamtdarstellungen des
Kaiserreiches von Droysen bis über Treitschke bis zu den Darstellungen nach
1945 vor und bewertet die neuesten Forschungsergebnisse. Besonders interessant
die Darstellungen nach 1945 und der geschilderte Aufbruch der 1970-ger Jahre,
die mit der Fischer-Kontroverse Ende der 1960-ger Jahre begannen und mit der
Darstellung von Hans-Ulrich Wehlers: "Kaiserreich" von 1973 einen
Höhepunkt der modernen Geschichtsschreibung fand. Auch auf neuere
Gesamtdarstellungen, insbesondere von Michael Stürmer, Thomas Nipperdey und
Hans-Ulrich Wehler wird eingegangen. Fazit: Diese Darstellungen waren
befruchtend für die Forschung. "Mit einigen Jahren Abstand zeigen sich
jedoch auch die Grenzen dieser Synthesen. Seit den 1980-ger Jahren ist die Welt
jenseits der Politik und des Staates...zum Thema geworden. Erst die Alltags-,
dann die Kulturgeschichte haben..."Menschen als lebende Individuen mit
subjektiven Wahrnehmungen und Eigenheiten..." zum Thema gemacht. In den
Fragenhorizont der 1970er Jahre...ließen sich die Ergebnisse dieser Arbeiten
nicht mehr integrieren." (S. 14). Die jüngsten Entwicklungen zeidhneten
sich durch den Abschied von alten Leitbegriffen und von der großen Erzählung
sein. Die jüngsten Gesamtdarstellungen zeichneten sich durch ihre Offenheit
aus. "Sie verlassen den durch die Begriffe Staat, Nation, Reich und Politik
abgezirkelten Raum, den Droysen in den 1850er Jahren geöffnet hatte...Weniger
deutlich ist allerdings, wohin die [neue] Offenheit führen soll. Was den
neuesten Gesamtdarstellungen fehlt, ist eine Zielperspektive, wie sie [den
bisherigen Gesamtdarstellungen]eigen war...Vielleicht aber muss eine
Zentralperspektive, die die Kaiserreichgeschichte für das 21. Jahrhundert
anschlussfähig macht, sich erst noch entwickeln. Bei der Analyse einzelner
Forschungskontroversen wird darauf zu achten sein, ob sich neue Wege oder gar
ein neuer Weg der Kaiserreichdeutung abzeichnen. Gesamtdarstellungen fassen das
für den jeweiligen Autor Wissbare und Wissenswerte zusammen. Sie schließen
eher ab als auf. Forschungskontroversen hingegen behandeln immer mehr als das
Thema, um das sie vordergründig kreisen." (S. 15/16.) Im folgenden
zeichnet der Autor wichtige Forschungskontroversen über das Kaiserreich nach.
Er wählt 8 Kontroversen aus: Kontroversen über mögliche Alternativen zu
Bismarcks Reichsgründung 1866, Auseinandersetzung über den von Helmut Böhme
geprägten Begriff der "Inneren Reichsgründung", über Bismarcks
Kolonialpolitik, über die Gründe der Nichterneuerung des sogenannten
"Rückversicherungsvertrages zwischen Deutschland und Rußland 1890. In
einem weiteren Kapitel steht der deutsche Kaiser Wilhelm II. im Mittelpunkt,
wobei auf die Kontroverse zwischen John C. G. Röhl und Wolfgang J. Mommsen
über die Verantwortlichkeit des letzten deutschen Kaisers für den Untergang
des Kaiserreiches geht. Ein eigenes Kapitel nimmt die sogenannte
Fischer-Kontroverse, der wohl bekannteste Kaiserreich-Streitfall, ein. Siebtens
werden "Milieutheorien" dargestellt, die im Anschluss an einen
wegweisenden Artikel von M. Rainer Lepsius 1966 in immer neuen Anläufen das
Verhältnis von Politik, sozialer Struktur und kulturellen Deutungsmustern
behandeln. Achtens schließlich geht es um die Kontroverse zwischen den
englischen Historikern Blackbourn und Geoff Eley und der jüngeren deutshen
Historikergeneration um Hans-Ulrich Wehler, die in der Zeitschrift
"Merkur" 1981 ausgetragen wurden. Zuletzt begründet der Autor seine
Auswahl.
Insgesamt ein sehr interessantes und informatives Buch. Ich finde es wirklich
unübertroffen und wichtig für jeden Historiker, Studenten der
Geschichtswissenschaft und historisch und politologisch Interessierten. Auch
für Referate unübertroffen. Es gibt meines Erachtens keinen besseren und
aktuelleren Forschungsüberblick über dieses Thema.
Der einzige Kritikpunkt liegt im Titel. Dieser heißt: "Das Deutsche
Kaiserreich" und impliziert, es handele sich um eine Gesamtdarstellung
über diese Epoche. Dies ist jedoch nicht der Fall, es handelt sich - wie
ausführlich begründet - um eine Darstellung der Forschung und der
Forschungskontroversen zu diesem Thema. Im Gegensatz zu den Reihen des
Oldenbourg-Verlages ist nicht in einem - zusätzlichen - Kapitel eine
enzyklopädisch gehaltene Gesamtdarstellung des Themengebietes dargestellt. Dies
kann man bedauern oder auch nicht. Tatsache jedoch ist, dass die Beschränkung
des Themenfeldes nicht aus dem Titel hervorgeht.
Fazit
Ansonsten hervorragend.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 04. Januar 2005 2005-01-04 14:22:26