Soldaten hatten den chinesischen Ermittler Shan vor fünf Jahren in den Bergen
Tibets von einem Lastwagen gekippt. Er gehörte von da an zur "404.
Baubrigade des Volkes", einem Straflager für tibetische Mönche, die sich
den religiösen Säuberungen der Han-Chinesen wiedersetzen.
Shans Ermittlungsergebnisse in Korruptionsfällen hatten seinen Vorgesetzten
missfallen, darum ließen sie ihn spurlos in Tibet verschwinden. Fünf Jahre
"Lao gai"- Zwangsarbeit - hat er inzwischen hinter sich, doch
offiziell aus der Haft entlassen wurde er nicht. Shan hat Tibetisch gelernt und
achtet die Bräuche der Tibeter. Seine Häftlingsnummer auf dem Unterarm öffnet
ihm Türen, die Chinesen sonst verschlossen bleiben.
In Pattisons 4. Tibet-Krimi überschlagen sich die Ereignisse am Geburtstag des
Dalai Lama: ein alter Hirte wird tot aufgefunden, der Mönch Surya handelt immer
verwirrter und behauptet, er hätte einen Menschen getötet. Eine kostbare
Antiquität wird nach Tibet zurück gebracht - man hätte eher erwartet, dass
sie hinausgeschmuggelt würde. In Peking wird ein altes Fresko geraubt, in
Seattle kommt zur gleichen Zeit bei einem Kunstraub ein junges Mädchen ums
Leben.
Shan soll mit dem chinesischen Ermittler Yao und dem Amerikaner Corbett
zusammenarbeiten. Sie treffen auf einen dubiosen Museumsleiter, gierige
Kunstsammler, Ausländer, die nicht sind, was sie vorgeben zu sein, und Tibeter
mit blauen Augen.
Shan und Corbett raufen sich nur schwer zusammen. "Sie müssen hier
besonders vorsichtig sein, in einer Welt, die nicht aus Fakten konstruiert
ist" sagt Shan. Die beiden ermitteln in unbekannten Höhlen, geheimen
Gängen und sogar in der verbotenen Stadt in Peking. Dort lebt scheinbar
vergessen in den Unterkünften der ehemaligen kaiserlichen Diener im
Kaiserpalast ein alter Professor. Er kann mit Dokumenten belegen, dass vor 200
Jahren Verbindungen zwischen Tibet und dem chinesischen Kaiser bestanden.
Die Younghusband-Expedition der Briten auf das "Dach der Welt" und das
Interesse des Kaisers Qian Long an Tibet sind historische Grundlagen dieses
spannenden Etho-Krimis. Der etwas unglücklich gewählte deutsche Titel
"Der verlorene Sohn von Tibet" bezieht sich auf Shans Sohn Ko.
Fazit
500 Seiten voller Tibet-Informationen sind selbst für den fanatischsten
Krimi-Fan eine Geduldsprobe. Auch ohne den stets spürbaren pädagogischen
Zeigefinger würde der Autor beim Leser Verständnis für die Situation der
Tibeter erreichen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 28. November 2004 2004-11-28 11:39:42