Daß bei einem Kriminalroman nicht unbedingt das Verbrechen das Spannende sein
muss, ist den Fans des Genres spätestens seit Patricia Hightsmith bekannt.
Ebenso wie sie benutzt Francisco José Viegas, einer der "besten
Romanschriftsteller (...), die in den letzten Jahren am Horizont der
portugiesischen Literatur aufgetaucht sind", so die Tageszeitung
"Diário de Notícias", Mord und Totschlag lediglich als
Rahmenhandlung. Viegas widmet sich mit ausschweifendem Vergnügen den Emotionen
und Beziehungen seiner Figuren, allerdings ohne die Spannung zu vermitteln, von
der die Romane der "Grande Dame" des Psycho-Krimis leben. Sein zweiter
ins Deutsche übersetzte Krimi "Der letzte Fado" dreht sich um das
gewaltsame Ableben des Lissabonner Werbefachmanns João Alves Lopes, der mit
zwei gezielten Schüssen ins Herz getötet und anschließend, zusammengefaltet
wie ein Klappmesser, im Kofferraum seines eigenen Autos am Rande eines kleinen
Dorfes in der Nähe von Porto deponiert wird. Die Essenz des Romans bilden das
Denken und Handeln der in den Fall verwickelten Personen: Inspektor Jaime Ramos,
sein Freund Filipe Castanheira, Maria Amélia Lobo Correia, die João Lopes
heimlich in Mexico getroffen hatte und seit seinem Tod verschwunden ist. So
dient die Reise des Inspektor Ramos nach Mexiko und Kuba ebenso zur Klärung der
Frage wer mit wem und wann und wo gesehen wurde, als auch zur Selbstfindung des
Mittvierzigers durch eine unerwartete Urlaubsromanze. Mit Lust belauscht Viegas
die Psyche seiner Charaktere, und beschreibt mit lakonischer Distanz ausgiebig
die Lebensumstände seiner Figuren. Wenn Filipe Castanheda mit Freunden voller
Genuß in Knoblauch und Safran frittierte Stichlinge, Fischsuppe, Pfannkuchen
und Frischkäse mit Knoblauchmousse verspeisen darf, oder Jaime Ramos seinem
Assistenten Befehle erteilt, um dann "in aller Gelassenheit darauf zu
warten, daß sich die Dinge von selbst erledigten", freut sich sicher so
mancher Leser über die kleinen, bezeichnenden Fragmente eines portugiesischen
Lebensstils. So gesehen paßt auch der Untertitel ganz hervorragend: "Jaime
Ramos und Filipe Castanheda ermitteln". Im Mittelpunkt des Interesses
stehen die Ermittlungen, nicht deren Ergebnisse. Am Schluss weiß der Leser, aus
welchem Grunde und von wem João Alves Lopes umgebracht wurde, aber anderes
bleibt unklar: warum eine zweite Leiche, und was ist aus dem Mörder geworden?
Falls Sie als Krimi-Leser darauf bestehen, am Ende über solche
Nebensächlichkeiten aufgeklärt zu werden, oder falls Sie sich nicht an
detaillierten Beschreibungen portugiesischer Lebenskunst erfreuen können:
Finger weg! Andernfalls könnte "Der letzte "Fado" ein
literarischer Leckerbissen für Sie sein.
Fazit
Für die Portugal-Liebhaber unter den Krimi-Fans eine wahre Freude, für solche
literarisch hochwertiger Kriminalstories ebenso, für Leute, die nicht über die
sprichwörtliche portugiesische "paciençia" (Geduld) verfügen, nicht
zu empfehlen.
Vorgeschlagen von Annette Rieck
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veröffentlicht am 26. Oktober 2004 2004-10-26 14:09:21