Gisbert Kranz hat hier eine meisterhafte Schilderung von acht Despoten (so die
Neuausgabe 2000) vorgelegt. Er geht der Frage nach, warum Herodes, Nero, Richard
III., Iwan der Schreckliche, Robespierre, Stalin, Ceausescu und Hitler
Diktatoren geworden sind.
Allen Diktatoren gemeinsam ist die Gier nach Macht. Alle kennen keine
moralischen Skrupel, ihre Ziele zu erreichen. "Lebendige Darstellung in
gepflegter Sprache, gründliche Beherrschung der Quellen, Verwertung des
wesentlichen Schrifttums" - so das historisch-politische Buch - zeichnen in
der Tat diese biographischen Essays aus.
Schon bei Herodes dem Großen wird deutlich, dass er in seiner Machtgier nicht
vor Verbrechen zurückschreckt. Deutlich wird, dass der Antrieb seiner schon in
der Bibel beschriebenen Verbrechen vor allem die Furcht ist, die Macht zu
verlieren. Außerdem war er Araber und hatte keinen Tropfen jüdischen Blutes in
seinen Adern. Er war daher gezwungen, eine romfreundliche Politik zu betreiben
und fürchtete immer Attentate.
Vergleichsweise sympathisch wirken Nero und Richard III. Kranz teilt nicht die
Ansicht eines neueren Nero-Biographen, Massimi Fini, der Kaiser sei "Opfer
einer zweitausendjährigen Verleumdung" gewesen, da er Politik für das
Volk und gegen den Adel betrieben habe. Nein, Neros Regentschaft sei in zwei
Phasen einzuteilen: eine vergleichsweise "gute", in der der Philosoph
Seneca seine Entscheidungen bestimmt habe und die Periode, in der nach Senecas
Tod Nero keinen Widerspruch mehr duldete und schließlich größenwahnsinnig
wurde.
Auch bei der Biographie Richards III. hält sich Gisbert Kranz an die klassische
Geschichtsschreibung. Richard habe in der Tat seinen Neffen Eduard V. nicht nur
absetzen, sondern ermorden lassen, um selber an die Macht zu kommen. Neuere
Deutungen, etwa von Josephine Tey, Richard III. sei ein Opfer gefälschter
Geschichtsschreibung der Tudors geworden, hält er für falsch.
Robespierre kennzeichnet vor allem Unduldsamkeit und ideologische Verbohrtheit.
Er war in der Tat zutiefst überzeugt, nur er könne eine "tugendhafte
Republik" schaffen. Er sei im Grunde ein unpolitischer Schwärmer gewesen,
der durch seine Reden wirkte. Aber sein verstiegener Moralismus ließ ihn blind
werden für die Tatsache, dass der von ihm stammende Satz:: "Die Demokratie
kann zugrundegehen durch die Überheblichkeit derer, die sie regieren" auf
ihn selber zutraf. Es zeigt sich, wie ein "tugendstolzer
Weltverbesserer" in seiner Egozentrik die Welt nur noch in
Schwarz-Weiß-Kategorien erleben kann - und dies führt nie zu gutem - es
führte zu seinem Sturz, seiner Hinrichtung und dem Ende der
Schreckensherrschaft. Intoleranz und ideologische Verbohrtheit führt zum
idealisierten Ziel, sondern zu Diktatur und Terror. Dennoch zeigt Kranz gerade
an Robespierre deutlich auf, dass es gut ist, sich von dem überkommenen Bild
von Robespierre als blutrünstigem Ungeheuer zu verabschieden und in ihm das zu
sehen, was er war: ein tugendstolzer Weltbesserer.
Am ehesten kann man Iwan den Schrecklichen und Stalin. Beide litten unter
Verfolgungswahn. Stalin verehrte Iwan den Schrecklichen. Doch auch hier zeigt
Kranz eindrucksvoll seine Fähigkeit zur differenzierten Analyse auf. Beides
waren Verbrecher, aber auch zwiespältige Charaktere. Iwan war fromm und voll
intellektueller Neugier, allerdings auch - durch furchtbare Kindheitserlebnisse
- grausam und tyrannisch. Die von ihm eingerichtete Terrorgruppe - der späteren
Tscheka vergleichbar - bedeutete soziologisch gesehen eine Hebung und
Bereicherung des Dienstadels, führte jedoch zum katastrophalen Niedergang des
Bauerntums. Beide - sowohl Stalin als auch Iwan, hatten
Minderwertigkeitsgefühle, die sie durch Grausamkeit kompensieren wollten. Beide
führten furchtbare Säuberungen durch, wobei Iwans Verbrechen dennoch nicht an
den "großen Terror" (Robert Conquest) eines Stalin heranreichten.
Stalin war durch außerordentliche Zielstrebigkeit und Härte seines Willens
geprägt. Seine stählerne Entschlossenheit richtete sich ausschließlich auf
Macht. Aber er wurde in seiner Anfangszeit auch unterschätzt. Sein Rivale
Trotzki galt als gefährlicher. Infolgedessen kam nach Lenins Tod ein Bündnis
gegen diesen - und nicht gegen Stalin, der von der Mehrheit der Parteiführung
unterschätzt wurde, zustande. Doch Kranz zeigt auch hier die Zwiespältigkeit
seines Charakters auf. So schrieb Stalin Gedichte, liebte die Natur, liebte
seine beiden Frauen abgötisch und seine Dienstboten und auch seine Tochter
liebten ihn sehr. Und dennoch brachte dieser Mensch rund zwanzg Millionen
Menschen durch Säuberungen um. Man sollte Anatolij Rybakows: "Kinder vom
Arbat" lesen, um einen authentischen Eindruck dieser machtgierigen und
grausamen Persönlichkeit zu bekommen, die die Grundsätze von Machiavellis:
"Der Fürst" bis in die letzte, äußerste Konsequenz, umgesetzt
hat.
Grausam war auch Nicole Ceaucescu. Ähnlich wie Stalin und Hitler kam er aus
bescheidenen Familienverhältnissen, einer armen Bauernfamilie. Wie bei keinem
anderen der portraitierten Diktatoren wird bei Ceaucescu der Mangel an
Moralität und der Einfluß des Größenwahns deutlich. Sein Kult war
"quasireligiös", seine Bauten gigantisch. Immer stärker wurde seine
Furcht, die Macht zu verlieren. Wie die anderen Despoten war Ceaucescu ein
extrem ängstlicher und misstrauischer Mann. Die Passagen über einen Besuch
Gorbatschows in Rumänien bieten ein finsteres Portrait dieses Mannes, der
jeglichen Blick für die Realitäten verloren hatte. Besonders deutlich wurde
dies bei seinem Sturz 1989. "Was Ceaucescu seinen Untertanen an Leid
zumutete, ist ungeheurlich." Dieses Fazit ist korrekt und führte
schließlich zu seinem Sturz, als das Fass nach den Unruhen in Temeschwar das
Fass zum Überlaufen brachten. Als die den Machthaber stützenden Militärs, der
Geheimdienst und die Polizei sich weigerten, auf die demonstrierende Menge zu
schießen, war das Ende der Ceaucescu-Diktatur gekommen. Ceaucescu wurde
gestürzt und hingerichtet. Ein grausamer Diktator hatte sein Ende gefunden.
Zu Adolf Hitler ist enorm viel geschrieben worden. Wie in dem Film: "Der
Untergang" gerade dokumentiert worden ist, zeigte Hitler im persönlichen
Umgang keineswegs - so Kranz korrekt - das Gesicht eines Räuberhauptmanns. Er
gab sich verbindlich und gewinnend. Wie bei Stalin war seine persönliche
Lebensführung bescheiden. Hitler war die ersten elf Jahre seines Lebens ein
normaler, bescheidener Junge. Erst in der Pubertät kam es zu Schulversagen und
Leistungsabfall. In diese Zeit fällt auch Hitlers Bruch mit dem Christentum.
Ähnlich wie bei Robespierre entwickelte sich bei Hitler, der mehr und mehr in
phantastische Scheinwelten flüchtete, eine rigorose Weltanschauung, die die
Vernichtung der Juden und die Weltherrschaft einer Herrenrasse als entscheidende
Grundlagen hatte. Dies wurde von Eberhard Jäckel gut herausgearbeitet.
"WEr einen Glauben aufgibt, empfindet ein Vakuum, das er bald mit einem
anderen Glauben füllen muss, und wenn es ein Aberglaube oder ein Götzendienst
ist. Ein Apostat benötigt eine Ersatzreligion, zumindest einen
Religionsersatz." Diesen Ersatz fand Hitler in seinem Judenhass. "Ich
vermute, die Ursache von Hitlers manisch bis zum äußersten Exzess betriebenen
Judenhaß liegt nicht, wie er in "Mein Kampf" glauben machen will, in
eigenen Erfahrungen. Sie liegt im Abfall vom christlichen Glauben."
Jegliche moralischen Hemmungen fielen. Die Juden waren bequemes Feindbild, auf
sie konnte er bequeme Ausreden für eigenes Versagen finden. Wie konnte dieser
Phantast zu Macht kommen? Seine Ideologie war die von Hirnverbrannten, seine
unrealistischen Ziele, die er - an der Macht - gleichwohl konsequent umsetzte,
waren die eines Gröüpenwahnsinnigen. Aber seine Methoden, seine Taktik waren
psychologisch und trechnisch nahezu perfekt. Dazu verfügte er - wie auch Stalin
- über eine überragende Intelligenz. Doch es war die Krise der Weimarer
Republik, die Wirtschaftskrise, aber auch die Sehnsucht der Deutschen nach einem
"starken Mann", die Hitler, der über die Fähigkeit verfügte,
Kontakt zu den Massen zu finden, zum Aufstieg verhalf. Er wurde von Goebbels
und anderen Nationalsozialisten, zielstrebig zum Messias aufgebaut. Hitlers
Aufstieg war immer - so Karl Dietrich Bracher - die Geschichte seiner
Unterschätzung. Er wurde - dies ist alles bekannt - zum größten Verbrecher
der Weltgeschichte. Er führte das deutsche Volk in den Abgrund - bis zum
berüchtigten Nero-Befehl vom März 1945, in dem er die Vernichtung der
Lebensgrundlagen des deutschen Volkes beim Rückzug der Truppen befahl. Bis in
die letzten gespenstigen Tage im Führerbunker in der Reichskanzlei hinein
klammerte er sich an weltfremde Illusionen, etwa eine Wunderwaffe oder eine
Wende.
Was ist das Fazit dieses spannenden Buches?
"Kein Tyrann" - so Kranz - "ist grausam aus purer Grausamkeit. Er
verübt seine Verbrechen stets mit dem besten Gewissen. Denn er handelt aus
Staatsräson, und diese gründet auf einer Ideologie"; einer Ideologie des
Königtums, des Kaisertums, des Imperiums, der Nation, der idealen Republik der
Zukunft, der klasssenlosen Gesellschaft oder des Vorrangs der arischen Rasse.
Kein Mensch will das Böse, weil es böse ist. Er will das Böse, weil er es
für etwas Gute hält und sich etwas von ihm verspricht. Deshalb zeigt die
Bibel den Verführer als Lügner, der das Böse als etwas Gutes,
Erstrebenswertes erscheinen lässt."
Fazit
Kranz zeigt auf, dass der völlige Mangel an Moralität, an Gewissen, an Achtung
vor Mitmenschlichkeit zu Größenwahn, Egozentrik, ungezügelter Machtgier
führt. Die Angst, diese Macht zu verlieren, führt zu gesteigerter Grausamkeit.
Karl-Dietrich Bracher sprach vom "Zeitalter der Ideologien". Hanna
Arendt von der "Banalität des Bösen". Diese eindringliche Studie von
Kranz, die aus Verbrechern Menschen werden lässt, zeigt in ihrer wohltuenden
Differenziertheit auf, dass auch die moderne Demokratie kein Garant ist, dass
sich die Geschichte nicht wiederholt und es zu neuem Aufstieg der Diktatoren
kommen kann. Insbesondere in Krisenzeiten sehnen sich die Menschen nach Halt -
und sind anfällig für alle diejenigen, die "einfache Lösungen"
suggerieren - Demagogen, Ideologen, Verbrecher. Dies ist die Lehre dieses
eindrucksvollen Buches.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 17. Oktober 2004 2004-10-17 12:22:31