Hollywood als Buch oder die Erfindung eines neuen Genres: der romantische
Actionroman mit science-fiction-Anleihen
Zu Audrey Niffeneggers Debütroman Die Frau des Zeitreisenden.
"Diesmal weiß ich, Henry wird endlich kommen. Manchmal frage ich mich, ob
mein Bereitsein, ob mein Warten vielleicht verhindert, dass das Wunder
geschieht. Doch ich habe keine Wahl. Er wird kommen, und ich bin da." So
denkt Clare, die Frau des Zeitreisenden im gleichnamigen Debütroman der
Amerikanerin Audrey Niffenegger. Clares Mann Henry DeTamble leidet an einer
seltenen Krankheit, die ihn zwingt, durch die Zeiten zu reisen. Auf einer dieser
Fahrten lernt er seine Frau kennen. Sie ist sechs Jahre alt, Henry ist bereits
36. In Wirklichkeit trennt die beiden jedoch nur ein Altersunterschied von acht
Jahren. In Henrys Wirklichkeit sind er und Clare schon längst ein Paar, da er
sie in der Vergangenheit besucht.
Der ganze Roman setzt sich aus Bruchstücken solcher Ausflüge in Vergangenheit
und Zukunft zusammen, bei denen Henry seine Frau immer wieder besucht. Damit
sich der Leser im Gewirr der Zeitebenen zurechtfindet, ist jeder Abschnitte mit
Jahreszahl und Alter der beiden Protagonisten überschrieben. Den Part, den
Clare in dieser Ehe übernimmt ist passiv. Ihr bleibt nichts übrig, als stets
auf Henry zu warten. Diese aufopfernde Liebe bestimmt ihr Beisammensein.
Es überrascht nicht, daß die Filmrechte dieses unterhaltsamen Romans bereits
nach Hollywood verkauft sind. Alles in allem erinnert die Geschichte eher an
eine besondere Form der Verwechslungskomödie, die mit Science-Fiction-Elementen
verbrämt wurde. Dies besonders dann, wenn sich Henry publikumswirksam in Luft
auflöst oder nicht recht überzeugend wirkende Fachgespräche über die
Möglichkeiten der Genforschung mit seinem Arzt führt.
Damit das Ganze dann aber doch seinem Anspruch gerecht wird, "von der Liebe
wie zum ersten Mal zu erzählen" (so der Klappentext), wird mit
dramatischen Einlagen nicht gespart. Da erleidet Clare zum Beispiel mehrere
Fehlgeburten, weil der gemeinsame Nachwuchs ebenfalls an der merkwürdigen
Krankheit leidet und sich schon im Mutterleib auf Zeitreise begibt; der unter
Stress stehende Henry wird auf seiner eigenen Hochzeit von sich selbst
vertreten, und immer wieder muß der Zeitreisende Augenzeuge des tödlichen
Unfalls seiner Mutter werden. Doch was immer ihm zustößt, er kann sicher sein,
daß Clare auf ihn warten wird (schließlich reist er ja auch manchmal in die
Zukunft, und das eben nicht nur, um die Aktienkurse oder Lottozahlen
mitzubringen).
Fazit
Die Einfälle sind ohne Zweifel originell, doch leider kommt neben der
temporeichen Handlung das Innenleben der Hauptdarsteller etwas zu kurz.
Besonders die Frau des Zeitreisenden, die ja laut Titel die eigentliche
Hauptfigur des Buches sein sollte, bleibt blaß. Es wird nicht klar, was Clares
Persönlichkeit neben der Tatsache, daß sie eben Henrys Frau ist, eigentlich
ausmacht. Nur selten erfährt der Leser, wie sich Clare fühlt, wie sie die
merkwürdigen Bedingungen, unter denen sie ihre Persönlichkeit entwickelte,
erlebt hat. Der Roman liest sich deshalb ein wenig wie die Vorlage für ein
Drehbuch: äußere Handlung und Actionszenen ersetzen die sich notwendig aus den
Figuren ergebende innere Handlung.
Nichtsdestotrotz hat Audrey Niffenegger ein durchaus vergnügliches Buch
geschrieben, auch wenn der Titel etwas in die Irre führt und es sich sicher
nicht um den Jahrhundertroman über die Liebe handelt, wie von der Kritik
häufig nahegelegt.
Vorgeschlagen von Henrike Doerr
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veröffentlicht am 22. September 2004 2004-09-22 14:53:57