Die "Urkatastrophe des Zwanzigsten Jahrhunderts" - so hat ein
Spiegel-Spezial im Januar 2004 den Ersten Weltkrieg beschrieben. Der Erste
Weltkrieg war der erste totale Krieg in der Geschichte der Menschheit und
verursachte letztlich den Aufstieg der faschistischen Bewegungen in Europa und
den Aufstieg Adolf Hitlers zum deutschen Diktator 1933. Er forderte annähernd
15 Millionen tote und war der erste mit Gas industriell geführte Krieg.
Welche Motive führten zum Krieg? Dieser Frage ging - bereits 1962 - Barbara
Tuchman in ihrem ausgezeichneten Buch nach. Im Gegensatz zu den Publikationen
vno Fritz Fischer ("Griff nach der Weltmacht", 1961, "Der Krieg
der Illusionen") weist Barbara Tuchman zwar in ihrem Buch der deutschen
Regierung und ihrem Streben nach einem "Platz an der Sonne" eine
erhebliche Mitschuld, jedoch nicht die Alleinschuld an der Entstehung des
Krieges nach. Sie zeigt in ihrem einflussreichen und bis heute bekanntesten Buch
die Fehleinschätzungen und Fehlwahrnehmungen aller beteiligten Staaten und
Akteure auf. Durch Richard Ned Lebow sind ihre Hauptthesen, diese
Fehleinschätzungen und Feindbilder aller Akteure habe entscheidend zum
Weltkrieg beigetragen, inzwischen bestätigt worden (sein Beitrag zur Juli-Krise
1914 in: "Between Peace and WAr: The Nature of International Crisis"
von 1981 wurde 1987 im Buch: "Kriegsursachen", hrsg. von der
Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung ins Deutsche
übersetzt) wird von Barbara Tuchman bereits 1962 bestätigt, wobei sie sich auf
einen allgemein gültigen Forschungskonsens in der Historikerzunft berufen
konnte, der erst von Fritz Fischer mit seinen Publikationen in Frage gestellt
wurde. Obwohl heute in Teilen überholt und recht breit geschrieben, scheinen
neuere Publikationen zum Thema wieder zu Barbara Tuchmans Sicht, dass es eine
eindeutig definierbare Kriegsschuld einer Nation beim Ausbruch des Ersten
Weltkrieges - im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg - nicht gegeben habe, zu
bestätigen. Ein erneuter Grund, das Buch zu lesen.
Außerdem war das Buch in anderer Hinsicht sehr einflussreich: US-Präsident
John F. Kennedy hatte das Buch nach seinem Erscheinen im Sommer 1962 gelesen und
erkannt, wie schnell eine internationale Krise durch Fehleinschätzungen durch
die führenden Akteure zum Krieg eskalieren kann. Die friedliche Beilegung der
Kuba-Krise 1962 und sein Bemühen, Chruschtschow zu verstehen und diesen das
"Gesicht wahren" zu lassen, beruhen ganz wesentlich auf der Lektüre
dieses Buches, wie Kennedys Bruder Robert in seinem Wek: "13 Tage"
geschrieben hat.
Fazit
Auch unter diesem Aspekt ist Barbara Tuchmans eindrucksvolles Werk interessant
zu lesen, wenn es auch Geschichte sehr breit erzählt. Zielgruppe sind daher in
erster Linie Laien, nicht Wissenschaftler. Es ist nicht mehr ganz auf dem
neuesten Forschungsstand, aber nach wie vor ein wichtiger Klassiker zum
Thema.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 25. August 2004 2004-08-25 22:41:46