Zum 80. male jährt sich in 2024 das Attentat auf Hitler am 20. Juli. Bekannt
ist es als "Stauffenberg-Attentat". Der Anschlag missglückte und
bereits am selben Abend im Jahre 1944 verkündete das NS-Regime, dass es sich
bei den Verschwörern lediglich um eine "ganz kleine Clique" gehandelt
habe. Dass es sich hierbei um eine bewusste Fehldarstellung der Bevölkerung
gegenüber handelte, dürfte mittlerweile bekannt sein, lassen sich dem Kreis
der Verschwörer doch insgesamt mehr als 200 Personen zuordnen. Der heutigen
Öffentlichkeit bekannt ist allerdings nur eine sehr kleine Zahl von Namen,
allen voran Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der den Sprengstoff versteckt in
einer Aktentasche ins Führerhauptquartier nach Rastenburg geschmuggelt
hatte.
Genau hier setzt das vorliegende Buch von Ruth Hoffmann an und beschäftigt sich
mit eben dieser Frage, warum vor allem die beteiligten Offiziere der Wehrmacht
ins Rampenlicht der Widerstandsgruppe gerückt wurden, weniger oder gar nicht
die zahlreichen weiteren Mitglieder, vor allem aus den Kreisen der entschiedenen
politischen Gegner der Nationalsozialisten. Einer einleitenden Einordnung des
Kernthemas folgen insgesamt 10 Kapitel, die sich mit der jeweiligen politischen
Sicht in verschiedenen (Nachkriegs-) Epochen auf das Hitler-Attentat vom 20.
Juli 1944 befassen. Ruth Hoffmann stützt die jeweiligen Erkenntnisse und Thesen
auf eine beachtliche Zahl moderner historischer Erkenntnisse. Die jeweiligen
Quellen sind (ungewöhnlich, aber durchaus interessant) über einen QR-Code
abrufbar.
Die Darstellung des Attentats, dessen Gedenken und Würdigung in der
Öffentlichkeit, werden chronologisch geordnet und ein Überblick über die
jeweilige Darstellung in der Öffentlichkeit gegeben. Es wird offensichtlich,
dass es einen (politisch begründeten) Unterschied in der Sichtweise, vor allem
zwischen der alten Bundesrepublik und der DDR gab. In Westdeutschland setzte
sich eine traditionelle, konservative Sicht durch. Die Autorin beschreibt die
jeweiligen Hintergründe, belegt hierdurch den Fakt, dass es stets die Offiziere
der Wehrmacht waren, die in den Mittelpunkt gestellt wurden, während das Gros
der "Anderen" unbekannt blieb, oftmals erst gar nicht genannt
wurden.
Es wird jedoch insgesamt ersichtlich, dass es im Laufe der Nachkriegs-Dekaden
einen Wandel in der Sicht auf den Anschlag des 20. Juli gab, der sich zeitlich
allerdings sehr langsam einstellte. Diese Entwicklung zeigt Ruth Hoffmann anhand
zugänglicher Belege auf, beschreibt und kommentiert sie.
Fazit
Hitler war im Laufe seines Lebens einer Vielzahl von Attentaten ausgesetzt, die
er allesamt mehr oder weniger unbeschadet überstanden hatte. Das Attentat des
20. Juli 1944 ist mit Abstand das bekannteste und gilt daher quasi als Symbol
für den deutschen Widerstand während des Nazi-Regimes. Völlig zu recht
betrachtet die Autorin eben diesen Fakt und ordnet das Geschehen neu ein. Nach
80 Jahren ist es an der Zeit gerade zu rücken, dass Graf Stauffenberg ohne
Zweifel als ausführendes "Organ" des Anschlags fungierte und sein
Name alleine schon deswegen zuerst genannt wird. Er konnte sich auf ein großes
Netzwerk stützen. Das Stauffenberg-Attentat wurde zum Mythos, das sich auf
verklärende Darstellungen seitens der Politik zurückführen lässt und
teilweise gar politisch instrumentalisiert wurde, wie Ruth Hoffmann darlegt.
Den Blick weiten: ein mehr als berechtigtes Anliegen wie ich meine. Stauffenberg
als zentrale Figur bliebe im Fokus, ohne sein Ansehen geschmälert würde.
Gleiches gilt auch für weitere bekannte Namen, die vor allem dem Kreis hoher
Offiziere zuordnen sind. Es geht darum, die Mitwirkung einer großen und
außergewöhnlichen Allianz darzustellen. Deren gemeinsames Ziel lautete: Das
Nazi-Terrorregime muss ein Ende finden!
"Dabei war gerade das Gegenteil, nämlich die Überwindung ideologischer
Grenzen, das Besondere an dieser Verschwörung. Keiner der Beteiligten hätte
den Plan für sich in Anspruch genommen, auch Stauffenberg nicht,. Jeder wusste,
dass sie nur vereint eine Chance haben würden (...)" (siehe Buch S.
395).
Wäre die Autorin doch nur eben diesem Leitfaden gefolgt, politisch (um den
Begriff ideologisch an dieser Stelle einmal zu vermeiden) unbefangen
nachzugehen. Es ist ihr an gar einigen Stellen schlecht, oder auch gar nicht
gelungen. Hätte ich nicht weitere Literatur zur neueren Sicht auf das Attentat
gelesen, wüsste ich weiterhin sehr wenig über die Namen weiterer Beteiligter,
von deren beeindruckenden Biografie einmal ganz zu schweigen. Gerade das
erscheint mir essenziell, wenn es doch gilt, den Blick auf den Widerstand zu
weiten. Natürlich: auch hier kann es sich lediglich um eine Auswahl handeln und
ist in einem Überblickswerk auch nur ansatzweise zu leisten. Chance vertan!
Um die Leistungen des nationalsozialistischen Widerstands anhand neuer
Erkenntnisse auch in ein berechtigtes, neueres Licht zu rücken, bedarf es der
Erläuterungen und Kommentierungen aus der heutigen Sicht, keine Frage. Ich
halte es jedoch für problematisch, wenn die Sicht der Bevölkerung und der
Politiker in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht ebenfalls eingeordnet und
erläutert wird. Eine Reihe historischer Erkenntnisse lag bereits auch kurz nach
Kriegsende vor, weitere Erkenntnisse kamen jedoch sukzessive hinzu und
begründen einen Wandel, selbst wenn man den Ursprung auf eine politische
Vereinnahmung hin interpretieren möchte. Diese (im historischen Sinne)
sachlichen Erläuterungen hätte ich in einem Werk, dass sich mit einem
Schlüsselereignis der deutschen Geschichte befasst, ebenfalls erwartet. Von der
Umsetzung bin ich offen gestanden enttäuscht.
Zusammenfassend: den Kern des Buches halte ich für richtig und wichtig. Die
inhaltliche Umsetzung allerdings bewerte ich kritisch.
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
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veröffentlicht am 13. August 2024 2024-08-13 09:45:04