"Die verlorene Generation"
Der deutsche Schriftsteller Ernst Haffner beschreibt in seinem Roman
"Blutsbrüder" die Lebensumstände von obdachlosen Jugendlichen im
Berlin der 1930er Jahre. Im Mittelpunkt steht eine Clique, die
"Blutsbrüder". Authentisch spiegelt der Autor die sozialen Probleme
der Jugendlichen. Meist aus zerrütteten Familien kommend oder aus
Fürsorgeeinrichtungen ausgerissen, haben sie keine Chance ein reguläres Leben
zu führen. Der Wunsch, lieber ein geregeltes Leben in einem zu Hause zu
führen, bleibt ihnen verwehrt. In einem klaren, ohne Schnörkel gehaltenen
Schreibstil, berichtet Ernst Haffner über die Bedingungen, die ihre Lebenslage
und Lebenschancen weitgehend bestimmen. In allen Facetten schildert der
Schriftsteller das harte Leben der Clique auf der Straße. Streng nach ihrem
Motto "Mit uns oder gegen uns" geben sie sich gegenseitig Halt und Mut
in ihrem Überlebenskampf. Einziger Zufluchtsort für die Jugendlichen sind
echte Kaschemmen, wie die berühmt berüchtigte Rückerklause, Elendsquartiere
und Lasterhöhlen für Gauner und Kriminelle.
Die Milieubeschreibungen der Berliner Unterwelten in den frühen 1930er Jahren
erinnern sehr an den Roman "Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin.
Wirklichkeitsnah werden den LeserInnen die Perspektivlosigkeit und Verrohung der
Blutsbrüder aufgezeigt, die letztendlich zu einem Abrutschen in die
Kriminalität führt. In diesen traurigen Verhältnissen wollen zwei Mitglieder
der Bande ausreißen und auf ehrliche Weise weiterkommen. Aber selbst mit dieser
Absicht sind sie nicht dagegen gefeit, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.
Doch mit viel Mut und gegenseitigem Vertrauen treten sie den unvorhersehbaren
Schwierigkeiten entschlossen entgegen.
Wer sich für dieses Thema - soziale Verhältnisse im Berlin der
Weltwirtschaftskrise - interessiert, dem möchte ich noch gerne sowohl den Roman
von Ulrich Alexander Boschwitz: "Menschen neben dem Leben", als auch
die Romane von Irmgard Keun: "Das kunstseidene Mädchen" und
natürlich Hans Fallada: "Kleiner Mann – was nun?" empfehlen.
Über Ernst Haffner ist äußerst wenig bekannt. Zwischen 1925 und 1933 war er
als Journalist und Sozialarbeiter / Streetworker in Berlin tätig. Sein einziger
Roman: " Jugend auf der Landstraße Berlin" wurde erstmals 1932
veröffentlicht. Bald darauf wurde es durch die Nationalsozialisten verboten und
im Rahmen der Bücherverbrennung 1933 völlig vernichtet. 2013 später wurde der
Roman neu entdeckt und veröffentlicht, diesmal unter dem Titel
"Blutsbrüder". Seit 1938 gilt Ernst Haffner als verschollen.
Fazit
"Blutsbrüder" ist eine aufwühlende Romanreportage über obdachlose
Jugendliche im Berlin der 1930er Jahre. Mit einem schonungslosen Realismus
zeichnet Ernst Haffner ein trauriges Bild über unterprivilegierte Menschen in
einer prekären wirtschaftlichen Weltlage, das bis heute fort existiert.
Vorgeschlagen von Heike Jaschhof
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veröffentlicht am 21. Juli 2024 2024-07-21 15:14:20