Der Psychothriller von Judith Merchant ist ein Paradebeispiel für die
Fehlinterpretation und das Missverstehen. Das geht nicht nur den Figuren im
Roman so, sondern kann auch den Lesern passieren. Es ist der Autorin Judith
Merchant (dankenswerterweise) zuzuschreiben, dass sie die Leser auf die falsche
Fährte schickt, nur weil die sich denken, wie es sein könnte.
Es ist ein Tag vor Heiligabend. Diese Zeit ist voller Stress für Esther
jahraus, jahrein. Es ist vorprogrammiert. Weihnachtsbaum holen, Baum schmücken,
Kinder von der Schule abholen. Es geht hoch her. Ihr Mann Martin muss helfen.
Außerdem will sie noch kurz bei ihrer Schwester vorbeischauen und der ihr
Weihnachtsgeschenk bringen, obwohl ihre Schwester letztes Weihnachten eine
Katastrophe für Esthers Familie war. Jetzt versucht Martin hartnäckig, seine
Frau vom Besuch bei der Schwägerin abzuhalten. Doch die lässt sich dank
schwesterlicher Loyalität nicht beeinflussen. Schließlich ist da noch Sue, die
von ihrem Mann geschieden wurde. Sie lebt auf dem Grundstück mitten im Wald, wo
es kaum Handyempfang gibt. Sie hasst den Besuch ihrer Schwester und mag sie
nicht. Schon seit der Kindheit. Sie hasst es, wie sie sich immer aufdrängt.
Es verwundert nicht, dass der diesjährige Besuch bei Sue aus dem Ruder läuft
und ein größeres Desaster als im Jahr zuvor verursacht wird. Judith Merchant
erzählt die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven. sowohl Esther als auch
Sue lassen uns in ihre Gedanken blicken und erzählen jeweils selbst ihre eigene
Sichtweise. Zwischendurch wird immer mal wieder von Martin erzählt, zum Ende
hin immer häufiger.
Zu Beginn hatte ich leichte Probleme mit den beiden Ich-Erzählerinnen Esther
und Sue, zumal sie auch manchmal aus ihrer Kindheit erzählen. Es dauerte ein
paar Kapitel bis ich die erste Verwirrung überwunden hatte und auch ohne die
Kapitelüberschriften wusste, an welcher Stelle ich mich im Leben der Figuren
befand. Das Kopfkino beginnt natürlich nach den ersten Seiten zu laufen., wie
sich offenbar die beiden Schwestern ihr ganzes Leben haben, sollten Leser keine
voreiligen Schlüsse ziehen. es bringt gar nichts, wenn sich einer einbilde zu
wissen, was der andere denkt. Die Leser sollten sich darauf einstellen, dass in
diesem Thriller die Gedanken der Figuren großen Raum einnehmen. Judith Merchant
ist eine hochkarätige Meisterin darin, die Leser zusammen mit ihren Figuren ins
Nirvana zu schicken.
Fazit
»Schweig!« ist ein erstklassiger Psychothriller mit einer anrührenden
Weihnachtsgeschichte und passt deshalb hervorragend in die Vorweihnachtszeit.
Meine beste Empfehlung für den Roman, mag er unter vielen Weihnachtsbäumen
liegen.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
[Profil]
veröffentlicht am 03. November 2023 2023-11-03 09:05:42