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Richard David Precht, Harald Welzer: Die vierte Gewalt

Die vierte Gewalt

von Richard David Precht, Harald Welzer
Verlag: Der Hörverlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-8445-4844-0

Preis: 15,99 Euro bei Amazon.de [Stand: 21. November 2024]
Meinungsfreiheit ist eines der Kernelemente unseres Grundgesetzes. Sie wird allen Bürgern der Bundesrepublik gewährt und garantiert, sofern sie sich im Rahmen der gesetzlichen geltenden Normen bewegt und die Würde anderer Personen nicht verletzt. In diesem Kontext ist auch die Pressefreiheit zu sehen. Sie stellt eine wesentliche Form der Meinungsäußerung dar, da sie ausdrücklich nicht ausschließlich der Meinung innerhalb der Medien dienen soll, sondern auch einer objektiven Informationsvermittlung der Bevölkerung gegenüber verpflichtet ist. Hierbei können die Medien eine Art "Kontrollfunktion" der Politik gegenüber wahrnehmen, gerieren sich jedoch in diesem Zusammenhang gerne als "die vierte Gewalt". Genau diese Sichtweise haben die Autoren als Titel ihres jüngst erschienenen Buches gewählt.

Am Beispiel des russisch-ukrainischen Krieges machen die beiden Autoren gleich zu Beginn ihre Kritik fest. Alle großen Medien vertreten nahezu im Gleichklang den Tenor: das Böse (also Russland bzw. dessen Präsident Putin) muss bekämpft werden und damit das Gute (demzufolge die Ukraine) obsiegen kann, muss sämtliche Unterstützung, inklusive der Lieferung aller notwendiger Waffensysteme, von allen demokratischen Staaten ohne wenn und aber sichergestellt werden. Geraten Politiker und auch ganz "normale" Bürger ins Abseits, wenn sie eine hiervon abweichende Meinung haben? Ja - mehr noch: ist eine abweichende Meinung überhaupt akzeptabel, wenn doch alle vernünftigen Menschen offenbar ins gleiche Horn blasen? Es ist ein Beispiel, aufgrund seiner bedauerlichen Aktualität gewählt, um klar zu machen, woran die Kritik der Autoren ansetzt. Die Medien scheinen auf das indifferente Meinungsbild der deutschen Bevölkerung bezogen auf die Waffenlieferungen wenig Rücksicht zu nehmen.

Im Verlauf des Buches erfährt die Leserschaft, wie es zu erklären ist, dass -insbesondere bei großen Ereignissen und Krisen- das Gros der JournalistInnen häufig einer Meinung zu sein scheint, dies publizieren und vehement rechtfertigen. Psychologische Faktoren spielen eine wesentliche Rolle, aber auch die Rolle der sozialen Medien und der zunehmende Drang, stets auf dem aktuellsten Stand zu berichten werden beleuchtet. Während sich die Printmedien in einem Abwärtstrend befinden, ist bei den internetbasierten Angeboten großer Redaktionen ein gegenläufiger, ansteigender Trend feststellbar.

Damit die eigenen Meldungen eine Marke setzen, spielt die Ausgestaltung und Formulierung der jeweiligen Schlagzeile eine ebenso große Rolle, wie die Wahl von Begriffen, die bei den großen Suchmaschinen besonders häufig angefragt sind und richtig genutzt, Suchergebnisse auf die News eben dieser Medien in möglichst großer Zahl garantieren. Die eingangs aufgezeigte Problematik weist aus Sicht der Autoren in eine ungünstige Richtung: zu wenig kontroverse Diskussion - einem Markenkern unserer Demokratie. Ließe sich durch einen verstärkten Diskurs der Vertrauensverlust in die Medien revidieren und würde helfen, den Filterblasen des netzbasierten Informationsstromes und seiner gefährlichen Auswüchse Einhalt zu gebieten?
Fazit
Precht und Welzer gehen eine brisante Frage an. Sie werden nicht damit gerechnet haben, dass die Kommentierung seitens der JounalistInnen wohlwollend ausfallen wird. Und sie haben recht behalten; seitens der Medien hagelt es massive Kritik. Selbst der scheidende ukrainische Botschafter hat bereits vor Erscheinen des Buches vor dessen "Genuss" gewarnt. Wird doch ausgerechnet die scheinbar einhellige Unterstützung in punkto Waffenlieferungen an die Ukraine von den beiden Autoren gleich zu Beginn (und an weiteren Stellen) des Buches in Frage gestellt. Nun ist Herr Melnik für seine weniger diplomatische Wortwahl durchaus bekannt und als Vertreter eines Landes, dass um seine Existenz kämpfen muss, ist seine Meinung sicher auch zu verstehen und ebenso zu deuten. Ich bezweifle jedoch, dass die große Zahl der JournalistInnen sich einen Gefallen tut, wenn sie den Kern der Kritik, der sich im vorliegenden Buch finden lässt, umschiffen und sich statt dessen in der scheinbaren Ahnungslosigkeit der Autoren über journalistische Abläufe in den Redaktionen verbeissen. Thema verfehlt!

Eine vierte Gewalt kennt unser Grundgesetz nicht. Daher ist es keineswegs selbstverständlich, dass ein Berufsstand, deren Mitglieder frei und unabhängig informieren wollen (und sollen), sich zu einer Staatsgewalt aufschwingen und selbst bestimmen, wie die Ausübung der hiermit verbundenen Kontrollfunktion umgesetzt wird. Das Prozedere, dem sämtliche im Grundgesetz verankerten Staatsgewalten (Legislative, Exekutive und Judikative) unterworfen sind, worin freie Wahlen und/oder eine Nominierung/Berufung durch demokratische Institutionen festgelegt sind, bleibt ihnen "erspart".

Genau hierin sehe ich die Chance und die Aufgabe der Medien: kritische, objektive und multiperspektivische Berichterstattung und Information der Menschen. Die Förderung der Mündigkeit zur eigenen Meinungsfindung, wird durch kontroverse Berichterstattung gefördert. Eine hohes Gut und eine Herausforderung gleichermaßen; eben eine Aufgabe für Qualitätsjournalismus. Den Mut der Autoren, den Finger in die Wunde zu legen, finde ich bemerkenswert und wichtig und richtig. Es bleibt daher zu hoffen, dass möglichst viele Menschen dieses Buch lesen oder hören. Zu wichtig ist das Kernthema, als dass man es einfach beiseite wischen dürfte. Das gilt auch (oder gar insbesondere), wenn man in der Deutung der durch die Autoren gewählten Beispiele und deren subjektiver Deutung ausdrücklich nicht zustimmt, wie es bei mir an verschiedenen Stellen der Fall war.
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Vorgeschlagen von Dietmar Langusch [Profil]
veröffentlicht am 08. Oktober 2022

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