Der Everest und das persönliche Trauma
Zum einen, auf der privaten, persönlichen Ebene, legt Silvia Vasquez-Lavado dem
Leser eindringlich (aber gar nicht ständig durch die Seiten des Buches
hindurch) dem Leser wieder einmal vor Augen, dass auch offenkundige
"Gewinner" ihre dunklen Schatten zu schultern haben. Vielleicht sogar
sind dies aber auch Antriebe, sich selbst in dieser Welt zu finden, mehr als bei
"unbedarften" Menschen.
Vasquez-Lavado, gebürtig in Peru, war zumindest ihr Leben lang
"angetrieben". Hat sich in einer 2Männerwelt" durchaus
erfolgreich im Bereich der IT und das gar noch im "Silicon Valley"
durchgesetzt. Und doch galt auch in all diesen Jahren, dass wohl das
"eigentliche Ich" damit nicht zufrieden wurde, denn Depressionen,
Sucht, Verdrängung waren viel stärkere Antriebe für ihre Persönlichkeit, als
die beruflichen Erfolge.
Als Kind sexuell missbraucht, die eigene Neigung zu Frauen lieber verborgen, es
ging nicht gut. Dass da der Sport hilft, das ist sicher nicht nur bei ihr
konkret so gewesen. Dass aber aus dem einfachen Klettern hier und da auf
kleinere und mittlere Höhen der Entschluss reifte, sozusagen in der
"Weltliga" des Bergsteigens mitzumischen, dass ist sicher ihrer
speziellen, ehrgeizigen, Herausforderungen suchenden Persönlichkeit zu
verdanken. Und damit eben auch ihrem Trauma aus Kindheitstagen.
Neben den vielfachen Darstellungen des eigenen Lebens und Lebensweges, auch dem
ihrer Begleiterinnen auf den Mount Everest, die in diesem autobiographischen
Buch erzählt werden, wird es allerdings sehr lehrreich und spannend für den
Leser, wenn sich die Autorin dem engeren Thema des Buches zuwendet, dem Bericht
vom Aufstieg auf den Mount Everest 2016. Mit einer Gruppe von Frauen, die ein
ähnliches Schicksal in jungen Jahren erlitten haben, wie sie. Und, auch das sei
gesagt, am Ende liegt die eigentliche Spannung der Lektüre nicht in den
äußeren Gefahren und der Anstrengung des Ersteigens, sondern in den inneren
Prozessen, die in ihr und den Teilnehmerinnen vorgehen. Wie die Gruppe sich Tag
für Tag, nachher Stunde für Stunde und Minute und Minute mehr stützt. Wie die
Krisen der einzelnen am Berg miteinander teils dramatisch aufgefangen werden.
Wie sich diese, jede für sich, im Leben teils tief verunsicherten Frauen ihren
inneren Problemen stellen und diese quasi "über den Berg" bringen.
"Das Erreichen des Basislagers bedeutet für jede von uns etwas anderes,
doch für die Frauen aus Nepal ist es mehr als ein spiritueller Weg zur Heilung
oder eine Prüfung des körperlichen Durchhaltevermögens. Es ist eine Leistung,
die zu erbringen die meisten in ihrem alter nie die Chance haben
werden".
"In Pheriche hat Jimena gesagt, dass sie über das eigene Trauma
hinauswachsen wollte" - und genau dies vollzieht diese besondere Gruppe von
Bergsteigerinnen.Jede für sich auf ihre Weise, vor allem aber als Gruppe. Denn
nur miteinander konnte geschafft werden, was am Ende erlebt wurde.
"Während meine letzten Momente auf dem Gipfel vorüberziehen, fühle ich
mich plötzlich so geborgen wie nie zuvor".
Fazit
Im Buchs sind es die vielen kleinen Erinnerungen, die Reflexionen über sich
selbst, die einzelnen Erinnerungen an hartes Geschehen, das "sich selbst
überwinden2 nicht nur körperlich, sondern auch in den vielen Zweifeln and er
eigenen Person, die besonders nachhaltig in der Erinnerung des Lesers verhaftet
bleiben.
Eine sehr empfehlenswerte Lektüre, nicht nur für Berg-Begeisterte.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 19. Juni 2022 2022-06-19 12:40:23