"Zu Fuß?" "Zu Fuß." "Allein?"
"Allein." Ein Frage-Antwort-"Spiel", das sich häufig
wiederholt im Buch. Verwundert waren etliche Polen und Tschechen, als sie die
Autorin alleine auf einer langen Wanderung sahen. Eine Wanderung vom polnischen
Rózina (dem früheren Rosenthal in Schlesien) bis zum tschechischen
Kržižovatka (dem früheren Klinghart im Egerland). Ein strapaziöser Weg,
versehen mit einer Fülle eindrucksvoller Begegnungen und lange anhaltender sehr
persönlicher Eindrücke. Christiane Hoffmann nimmt den Leser mit auf diese 550
km lange Wanderung und lässt uns teilhaben an ihren Erlebnissen und
Gedanken.
Sie tut dies sehr eindrucksvoll und einfühlsam. Erzählt viel Persönliches,
über sich und ihre Familie, insbesondere die Großeltern und Eltern, allen
voran ihren Vater. Geboren und bis zum Alter von neun Jahren im schlesischen
Rosenthal zu Hause, mussten er und seine Familie ohne jegliche Vorwarnung und
nur mit dem Nötigsten versehen, die Heimat verlassen. War da anfangs noch die
Hoffnung, bald wieder in die Heimat zurückzukehren, sahen sich die Flüchtlinge
am Ende ihres Weges einer anderen, einer harten Realität ausgesetzt: ihr
frühes Zuhause war einmal; sie werden dorthin auf Dauer nicht mehr
zurückkehren.
Der Umgang (vielleicht besser die Wortkargheit) in Bezug die eigentliche
Herkunft, motivierte die Autorin des Buches sich auf die Suche nach den Wurzeln
ihrer Familie zu begeben. Den Wurzeln ihrer Vorfahren und damit auch ein Stück
weit den eigenen Wurzeln. Das vorliegende Buch schildert beeindruckend und
sensibel den Verlauf dieser Suche.
Fazit
Wer ein nüchternes Sachbuch erwartet, das sich mit dem Schicksal einer Familie
von Heimatvertriebenen beschäftigt, wird überrascht sein. Es findet sich ein
persönliches Werk, das die erfahrene Journalistin und heutige stellvertretende
Sprecherin der Bundesregierung literarisch gekonnt erzählt. Als Leser wird man
Teil der Familie und ihrer Bekannten, nimmt Anteil an den Schicksalen und fühlt
sich, als wäre man Schritt für Schritt und Wort für Wort direkt dabei, wenn
Christiane Hoffmann auf ihrem Weg mit den heutigen Einwohnern der Orte entlang
der Fluchtroute ihres Vaters ins Gespräch kommt.
Inhaltlich hat mich das Buch persönlich berührt, vielleicht in ganz besonderer
Weise, da meine Eltern ein vergleichbares Schicksal durchlebt haben. Es ist
jedoch keineswegs ausschließlich ein Buch für Nachfahren von Flüchtlingen,
dieses Werk berührt in besonderer Art und Weise und ist für alle
empfehlenswert, die empfänglich sind für persönliche Schicksale. Leider
wieder ein hochaktuelles Thema. Der schreckliche Krieg in der Ukraine befördert
vergleichbare Tragödien in großer Zahl.
Absolute Leseempfehlung und ich hoffe, die Juroren für den Buchpreises der
Leipziger Buchmesse empfinden es ebenso!
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
[Profil]
veröffentlicht am 13. März 2022 2022-03-13 12:06:15