Fundierte und umfassende Biographie
Weltweit geschätzt, zumindest überwiegend. Innenpoltisch auch umstritten,
keine Frage. Und doch als erste Frau als Kanzlerin Deutschlands, 16 Jahre lang
jeweils wiedergewählt und in ihrer sehr unaufgeregten persönlichen Art und
Weise durchaus ja auch ein Gegenentwurf zu so manchem "Polit-Granden",
der sich an ihr die Zähne ausgebissen hat. Dazu eine politische Karriere und 16
Jahre als Regierungschefin, die geprägt waren von einer mehr und mehr
turbulenter werdenden Zeitgeschichte, was nicht nur den "Großen"
Krisen, Flüchtlinge, Finanzmarktcrash, Eurobedrohung, Corona und dem Wanen
moderner, liberaler Demokratien zu tun hatte, sondern selbst an der eigenen
Person diese Zeitgeschichte auch biographisch intensiv in der eigenen Biographie
gesetzt hatte als erste im Osten Deutschlands geborene Spitzenpolitikerin
"ganz Oben".
Was in den Grundzügen durchaus nicht zu Unrecht an Helmut Schmidt und seine
pragmatische Herangehensweise an die Regierung des Landes erinnert und so von
Bollmann durchaus passend in dieser Verbindung an den Anfang seiner
ausführlichen Biographie von Person und Zeit stellt. Wobei beide auch
verbindet, dass machttaktisch Chancen ergriffen und umgehend genutzt wurden, als
sie sich ergaben, Bei Schmidt schon bei der Flut in Hamburg, später dann im
Konflikt zwischen Wehner und Brandt, bei Merkel in der Parteispendenaffäre, als
sie beherzt zur Macht griff. Gebürtig im Übrigen ebenfalls in Hamburg, was
noch eine Parallele zu Schmidt ergibt, wenn danach auch die Wege stark
auseinanderliefen. Vom Aufwachsen im osten im Pfarrhaus bis hin zum Studium der
Physik der Arbeit im Bereich, bis erst 1989 der Weg in die Politik genommen
wurde.
In zwei Hauptteile unterteilt Bollmann damit den Werdegang Merkels sachgerecht
und nimmt im zweiten Teil des politischen Wirkens, immer fundiert und sachlich
im Stil, dann Fahrt auf in der Betrachtung des "sich persönlich
Durchsetzens" (ein Weg, auf dem gerade männliche zur Konkurrenten immer
und immer wieder die auch persönliche Stärke, Taktik und Beharrungskraft
Angela Merkels offenkundig stark unterschätzten) bis hin zur Entwicklung als
"Weltpolitikerin" angesichts einer gefühlten "ständigen
Krise" seit 2008. Eine sorgsame Nachzeichnung des Weges durch all die
Jahre, die umso höher zu schätzen ist, als dass ja noch vielfache Quellen gar
nicht offenliegen und die Kanzlerschaft Merkels zum Erscheinen des Werkes noch
gar nicht abgeschlossen vorliegt.
Mit mehrfachem Gewinn für den Leser zudem, denn sowohl die Atmosphäre in der
damaligen DDR versteht Bollmann minutiös an der Persönlichkeit Merkels
emotional nahezubringen, wie Helmut Kohls "Endphase" noch einmal vor
Augen ersteht und der "Politikbetrieb" an sich immer wieder treffend
auf den Punkt berichtet wird.
Fazit
Das dabei auch persönliche Ernüchterungen Merkels nicht ausgespart bleiben und
auch als eines der großen Themen der Zusammenhalt der Demokratie nicht zu hoch
gegriffen erscheint in der Betrachtung der Wirkung Merkels (neben allen auch
kritischen Tönen, die ihren Platz im Buch finden), mag sich erst in einigen
Jahren in der Rückschau allgemein deutlich vor Augen legen, ist von Bollmann
aber hier schon fundiert argumentiert und begründet vor Augen.
Eine spannende, ausführliche und überzeugende Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 09. August 2021 2021-08-09 12:59:20