Lang und sehr breit erzählt
Jake Brigance, einer der "frühen Helden" Grishams ("Die
Jury") ist zurück. IN einem von den Fakten her völlig klaren Fall. Der 16
Jährige Drew erscheint den betrunkenen (und in diesem Zustand immer
gewalttätigen) Polizisten Stu Kofer. Im Bett. Als der Mann 3,6 Promille im Blut
hat und zuvor der Mutter Drews einen solchen Kinnhaken verpasst hat, dass Drew
und seine Schwester vom Tod der Mutter ausgehen mussten. Im kleinen Städtchen
Clanton ist damit für die Bevölkerung alles klar. Und Jake Brigance, dem
Richter Noose den Fall aufdrückt (wobei die 1000 Dollar Honorar, die zu
erwarten sind, keine große Hilfe für den Anwalt immer kurz vor der Pleite sein
werden).
Aus diesen eher einfachen Grundvoraussetzungen samt drohender Todesstrafe
gestaltet Grisham ein Werk von gut 650 Seiten, das mit gemächlichem Tempo und
sehr breiter Erzählweise (manchmal hat man den Eindruck, Grisham selbst wusste
hier und da nicht genau, warum diese oder jene Wendung, Ergänzung, Geschichte
aus dem Leben einer der Figuren do dringend notwendig ist, denn so manches
versandet einfach im Verlauf des Romans), die nicht immer einsichtig und klar in
ihren Beiträgen für den Fortgang des Falles ist.
Menschlich zwischenmenschliches, die ständigen Geldsorgen, die Bedrohung für
die eigene Familie, die verschiedenen, eher erwähnten denn ausgestalteten
Verweise auf absonderliche Gesetzte, all das ergibt zwar am Ende ein umfassendes
und emotional durchaus anregendes Bild für den Leser, das aber um den Preis an
Tempo, Zug und Spannung. Denn durch die breite Erzählweise auch der Planung des
Prozesses ergeben sich letztlich keine überraschenden Wendungen, auch beim
Finale nicht.
Das zudem die Motivation eines der wichtigsten Zeugen, der sich zunächst gar
nicht und dann umso konsequenter als Zeuge ins Spiel bringt, nicht näher
erläutert wird und der Fall ein sehr offenes Ende haben wird (was in der Natur
des Geschehens und des amerikanischen Rechtssystems begründet liegt) lässt
dann am Ende auch ein stückweit unzufrieden zurück. Zu breit und zu lang
erzählt, das ist die eine Seite des Romans. Detailliert, fundiert und akribisch
dem Leser vor Augen gelegt, dass wiederum ist eine der Stärken Grishams, der
diesen Fall von allen Seiten beleuchtet und vielfache Perspektiven auf das
Geschehen eröffnet.Bis hin zum eindeutigen und klaren, leider sehr weit
verbreiteten, schwarz-weiß Denken der Bewohner Clantons.
"Warum sind so viele Weiße versessen auf die Todesstrafe?" -
"Wir wachsen damit auf". Mit diesem "Auge um Auge und Zahn um
Zahn", den archaischen Vorstellungen der "Vorzeit".
Dass dabei noch Familienzuwachs für Jakes Familie in den Weg geleitet werden
wird, ergibt eine interessante Volte, der man im Verlauf gerne folgt. Wie auch,
sattsam und gut bekannt, der Stil Grishams eine sehr angenehme Leseatmosphäre
hervorruft und auch manche, im Kern weniger interessante, Abschweifungen einen
doch gut lesen lässt.
Fazit
So verbleibt am Ende ein fundierter Gerichtsthriller, der eher als Erzählung
allerdings zu Kennzeichen ist denn als "Thriller". Aber auch wenn der
"Thriller" weitgehend fehlt und nur die Anfangsphase in der
Schilderung des Mordes an Stu Kofer überaus spannend im Raum verbleibt, eine
anregende und angenehme Lektüre bietet Grisham durchaus mit seinem neuen Werk
an.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 09. Juli 2021 2021-07-09 13:50:52