Das Thema ist (leider) brandaktuell. Die freiheitliche Staatenwelt gerät
zunehmend ins Schlingern. Immer mehr Menschen sind enttäuscht, unzufrieden,
übersättigt - wie auch immer: es wird zunehmend eng für die traditionelle
(westliche) Demokratie. Da kommt das Buch einer renommierten und erfahrenen
Pulitzer-Preisträgerin gerade recht. Sie setzt sich zur Aufgabe den Leser
Einblicke in die Hintergründe zu gewähren, warum die
"Antidemokraten" zunehmend an Zustimmung erfahren.
Inhaltlich stellt Applebaum eine Silvesterparty im Jahre 1999 an den Beginn des
Buches. Ihr Mann, Radek Sikorski (ehemaliger polnischer Außenminister) und sie,
laden eine bunte Mischung Verwandter, Bekannter und Freunde ein. Eine globale
Runde, die gemeinsam unbeschwert feiert. 20 Jahre später ist nicht nur die
Silvesterparty Geschichte, auch viele Freundschaften sind zu Bruch gegangen.
Gescheitert an wachsender politischer Spaltung. "Pro-Demokraten" auf
der einen und "Antidemokraten" auf der anderen Seite. Miteinander ins
Gespräch zu kommen, wird zunehmend schwieriger.
Den Weg dorthin und warum darin eine Gefahr für den Fortbestand der freien Welt
stecken kann, beschreibt Anne Applebaum in den folgenden Kapiteln des Buches.
Ihre Profession als erfahrene und international geachtete Journalistin kommen
ihr dabei ebenso zugute, wie die weitläufigen Kontakte ihres Mannes als
ehemaliger Außenminister Polens. So beschreibt sie beunruhigende Entwicklungen:
in Polen, in Ungarn, auch in Westeuropa, selbst wenn dort die liberalen Kräfte
noch das Sagen haben. Auch die politischen Entwicklungen in Großbritannien und
den USA spielen selbstverständlich eine Roll. Nahezu überall findet sich das
gleiche Muster: die Gesellschaft leidet unter einer zunehmenden Polarisierung
demokratiefreundlicher und antidemokratischer (autoritativer) Strömungen.
Anhand persönlicher "Schicksale" kann der Leser diesen Weg mit
verfolgen.
Fazit
Keine Frage: die berufliche Erfahrung und die vielfältigen Kontakte rund um den
Erdball bilden eine sehr gute Grundlage für fundierte Beschreibungen aktueller
Entwicklungen. Eine zunehmende Entfremdung in Bezug auf liberale Weltoffenheit,
hin zum "starken Staat". Vertreter der autoritären Richtung betreiben
quasi eine Art "Pipi-Langstrumpf-Politik":...ich mach mir die Welt,
wie sie mir gefällt. Wortgewaltig und nach außen stets auf die Trennung
zwischen Gut und Böse, "Wir" gegen "die Anderen",
gerichtet. Wie schon erwähnt, alles anhand trefflicher Schilderungen und
Interpretationen, sowie beispielhaft an Biografien früherer Freunde gut und
interessant lesbar beschrieben.
Dennoch: personenunabhängige und systematische Analysen sind inhaltlich schwach
vertreten. Und offengestanden, hätte ich mir von einer erfahrenen Journalistin
und Pulitzer-Preisträgerin genau diese inhaltliche Tiefe nicht nur gewünscht,
sondern hatte sie vorausgesetzt.
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
[Profil]
veröffentlicht am 11. April 2021 2021-04-11 17:10:59