Verortet ist diese große Familiengeschichte in der Champagne zwischen
Weinbauern und Champagnerherstellern. »Das letzte Licht des Tages« von Kristin
Harmel ist ein Familiendrama in Frankreich zur Zeit des Zweiten Weltkrieges.
Der Einstieg in die Handlung erfolgt im Jahre 2019 in New York. Liv ist gerade
geschieden und weiß mit sich und dem Leben nichts anzufangen. Da braust ihre
Großmutter Grandma Edith bei ihr herein und entführt sie nach Frankreich. Von
Paris aus fährt Grandma mit ihr in die Champagne, weil sie dort noch Vieles zu
erledigen hat. Schließlich ist Grandma 99 Jahre alt, noch rüstig und
Champagner trinkend, ein wahres Energiebündel im Gegensatz zur gerade
geschiedenen Liv.
In einem großen Familienroman geht es immer Geheimnisse und nicht
ausgesprochene Tatsachen in der Vergangenheit der Familie. So ist es auch hier.
Insgesamt werden die Schicksale von drei Frauen geschildert. Liv ist eine davon,
deren strank in der Gegenwart spielt. Die anderen beiden Protagonistinnen sind
Inés und Céline. Ihre beiden Geschichten liegen in der Vergangenheit und
beginnen etwa im Jahre 1940. Inés fühlt sich grundsätzlich falsch verstanden
von ihrem Mann, dem Besitzer des Champagnerhauses Chauveau. Die Beziehung zu
seiner Ehefrau wird mit der Besetzung durch die deutschen Nazis immer kälter
und spröder. Céline ist die Frau des Kellermeister. Sie ist Jüdin, aber
immerhin in Frankreich geboren, eigentlich ist sie Halbjüdin, was für die
Nazis aber kaum eine Rolle spielte. Auch sie fühlt sich von ihrem Ehemann, dem
Freund und Angestellten des Inhabers nicht geliebt.
Es sind also drei Protagonistinnen, drei separate Geschichten und Lebensläufe,
die letztendlich doch alle zusammenführen. Montiert hat Kristin Harmel dies
ganz strikt in solch einer Einteilung. Es gibt reihum immer ein Kapitel Liv, ein
Kapitel Inés und ein Kapitel Céline. Da die Geschichten von Inés und Céline
zur selben Zeit spielen, erlebt man beim Lesen stets eine andere Perspektive des
Geschehens. Es ist spannend und bezaubernd, wie sich die Kapitel Seite für
Seite zu einem großen Ganzen zusammenfügen und am Ende ein stimmiges Bild
ergeben, was man vorher so erwartet hatte.
Neben dem Drama der Familien gibt es viele historische Informationen zur
Besatzung durch die Deutschen, zum Widerstandskampf und zur Herstellung von
Champagner. Das sind Informationen, die ich bei historischen Romanen so liebe.
Zwar zählt dieser Roman wegen seines Handlungsstrangs in der Gegenwart nicht zu
den reinrassigen historischen Romanen, aber ich würde ihn dennoch dort
einordnen.
Ein verbindendes Element zwischen dem Geschehen aller Geschichten ist Grandma
Edith. Sie hat ein sehr hohes Alter und war 1940 die beste Freundin von Inés.
Und sie zeigt ihrer Enkelin Liv die Orte der Vergangenheit. Während sie dies
tut, entwickelt sich die wohl romantischste Liebesgeschichte überhaupt. Denn es
wird höchste Zeit, das Liv endlich ihren schrecklichen Ex-Mann vergisst.
Neben all der vielen kleinen und großen Geschichten schaffen es die Autorin
(und ihre Übersetzerin) so viele kluge Sätze einzustreuen, dass man sich am
liebsten alle als Zitate heraus notieren möchte (mit Quellenangabe versteht
sich).
Fazit
Ein wundervoller Roman, den man langsam auf sich einwirken lassen, den man nicht
überstürzt lesen sollte. So, wie man französische Weine genießt, sollte man
auch den Roman »Das letzte Licht des Tages« von Kristin Harmel genießen.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 03. November 2020 2020-11-03 15:11:24