Ohne die beiden toten Wölfe wäre der Fall vermutlich erst sehr viel später
entdeckt worden. Selbst in einer abgelegenen Gegend in Norrland nahe der
schwedisch-finnischen Grenze kann ein toter Wolf noch Aufsehen erregen, stellt
Haparandas Ermittler-Team bald fest. Das Muttertier hatte Gift gefressen – und
in seinem Magen fand sich Fleisch eines Menschen. Ein notdürftig verscharrter
Toter wird alsbald gefunden, der in Verbindung zu einem weit bedeutenderen Fall
steht: einer Schießerei mit mehreren – finnischen und russischen - Toten auf
finnischer Seite. Hannah Wester, mit Mitte 50 aktuell von Beschwerden des
Klimakteriums gebeutelt, und ihre Kollegen suchen nun nach einem beschädigten
Fahrzeug (das vermutlich den Mann auf schwedischer Seite tötete), einer
beachtlichen Menge an Amphetaminen und Geld, sowie Tätern mit guten
Ortskenntnissen. Besitzer der Beute werden sich sicher irgendwann verraten; und
das Unfallfahrzeug müsste doch zu finden sein.
Als Leser verfolgt man den wechselnden Focus auf die Ermittlungen, auf mögliche
Verdächtige und beobachtet die exzellent ausgebildete Auftragskillerin Katja
bei ihrem eindeutigen Auftrag: wer im Drogengeschäft Fehler macht, wird
beseitigt. Den jungen Mann jedoch, dem als Jugendlicher bereits die Diagnose
hochbegabter Psychopath angeheftet wurde, hat anfangs noch niemand auf dem
Schirm. Hans Rosenfeldt (aus dem Autoren-Team mit Michael Hjorth) knüpft
zwischen seinen Figuren komplexe Verbindungen. Jede Figur hat offenbar
mindestens einen schwachen Punkt, der sie erpressbar macht und über den sie
fallen könnte. Selbst im Leben von Hannah Wester und ihrem Mann Thomas sind
noch längst nicht alle Schichten abgehoben, die sie bisher über ihre
Vergangenheit breiten konnten; denn über ein traumatisches Thema wurde zwischen
ihnen seit über 20 Jahren nicht gesprochen. Ausgerechnet gegen Thomas Neffen
Kenneth ermittelt nun die Polizei im schwedisch-finnischen Fall. Was soll
Hannah davon halten, dass Thomas sie offensichtlich belügt?
Das Auffalten dieses dicht geknüpften Netzes von Beziehungen liest sich so
spannend wie komplex. Die Handlung erfordert hohe Aufmerksamkeit, da u. a. die
Stadt Haparanda mit eigener Erzählerstimme zu Wort kommt und nicht immer gleich
deutlich wird, von welcher Person gerade erzählt wird. Auch den
Ermittlungsstand fand ich nicht immer eindeutig. So bin ich zunächst einer
falschen Spur gefolgt und musste einsehen, dass ein vermeintliches Muster
allein noch lange keine Schlussfolgerung erlaubt.
Fazit
"Wolfssommer" mit seinen zahlreichen brutalen Morden zeichnet sich in
erster Linie durch das fein gearbeitete Beziehungsgeflecht zwischen den
Beteiligten aus, das wie ein Fundament für eine geplante Serie wirkt. Der
strategisch günstig gewählte Schauplatz an der Grenze zu Finnland und die
Bandzahl der Sebastian-Bergmann-Reihe lassen jedenfalls auf eine Fortsetzung
hoffen …
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 14. Oktober 2020 2020-10-14 08:06:42