Image ist nicht alles
Das sich jeder Mensch immer schon auch ein stückweit, mal sehr, mal weniger,
"inszeniert" und allgemein quasi "immer schon" die Regel
herrscht, seine "Schokoladenseiten" nach vorne in den Blick der
anderen zu rücken und die Schwächen eher möglichst erfolgreich zu kaschieren,
das ist eher eine Binsenweisheit denn eine überraschende Erkenntnis. Ein
Prozess, der sich einerseits in den letzten Jahren hochgradig verschärft und
befördert hat durch die sozialen Medien, das Gestalten seiner selbst im
anonymen Raum, in dem man digital "alles sein kann". Und ist durch
eine ganze Heerschar von Image-Beratern und Kommunikationstrainern für Personen
in der Öffentlichkeit aller Bereiche, Wirtschaft, Politik, Sport, Kunst,
Influencer etc. noch deutlich mehr professionalisiert worden.
Auf der andern Seite aber ermöglichen allgegenwärtige Kameras und
Berichterstattungen in Echtzeit auch die "Entlarvung" durch vielleicht
nur kleinere Momente von "Rissen in der Fassade", die dennoch umgehend
"viral" gehen. Bis dahin, dass es nicht selten schwierig für den
Einzelnen wird, zwischen eigenem Ich und eigener, gestalteter Rolle für sich
selbst zu unterscheiden. Denn keine Rolle ist ja so glaubwürdig wie jene, die
man selber mit Inbrunst für wahr hält.
"…sondern es nahm auch das Misstrauen gegen die eigene Peron und deren
Schicksal den Charakter tiefer Selbstgewissheit an". (Robert Musil).
So dass man vielleicht tatsächlich, wie in der Literatur Musils, anders handelt
als man denkt und anders denkt, als man handelt. "Ein hohes Maß an Bluff
ist Stabilitätsbedingung der Spätmoderne". So fasst es Prisching in
Worte. Und warum das so ist, wo das herkommt, wann das passend und (viel
öfter), wann das für einen selbst schädlich ist, diesen Fragen geht er in
seinem neuen Werk nach.
Solange dies nun in jener Form geschieht, dass man selbst weiß, dass die
Regeln, die zum Bluff führen samt der Möglichkeit, die eigenen
"Bluffs" als "Bluff" auch zu erkennen, mag dies alles noch
im Rahmen sich bewegen, Kompliziert wird es dann, wenn das eigene Image zu sehr
geglaubt wird und das eigene Verhalten unter Beobachtung zu sehr mit dem
selbstgewählten und transportierten Image kollidiert. Und dann zu beobachten
ist, wie eine Tendenz immer stärker wird, die destruktiv wirkt: Dass bei
solcher Spannung zwischen Bild und Realität die Realität jene ist, die
geleugnet wird und nicht die eigenen Risse in der Rolle sich selbst zugestanden
werden. Ein "Solitär" sein zu müssen, dies zumindest zu denken,
bringt am Ende stetig die Grundlagen einer Konsens-Gesellschaft unter Druck. Was
aktuell gut zu beobachten ist und an Geschwindigkeit exponentiell zunimmt.
Und so geht Pirsching in dieser hoch interessanten und jederzeit fundierten
Lektüre all den "Bluffs" der Spätmoderne nach. Von tatsächlichen
Masken (auch operativ hergestellt), von Moden und Stil, von Selbstbild als
"Aussteiger" oder "verdienter Luxus-Mensch", von Körperkult
und dem Versuch, jugendliche Schönheit bis ins hohe Alter hinein "zu
bluffen" bis hin zu den aktuellen, durchaus allgemein gefährlichen und
gefährdenten Auswüchen von "Fake-Behauptungen" wider besseren
Wissens, weil es in die eigene Strategie passt bist zur Differenzierung zwischen
"Vernunft-Glaube" (Aufklärung) und "Emotionsglauben" (die
Grundlage des Verlustes des Wissens um den eigenen "Bluff") betrachtet
Pirsching alle wesentlichen Bereiche des modernen "öffentlichen"
Lebens und legt dem Leser damit Vieles vor Augen, dass die eigene Inszenierung
und die eigenen "Bluffs" in das eigene Blickfeld rücken.
Fazit
Eine nachdenkenswerte Lektüre, die in verständlicher Form aufzeigen, dass man
ohne "Selbststilisierung" sich schnell aus dem sozialen Gefüge
"herausschießen" kann und wie es trotzdem gelingen kann, sich selbst
nicht in den eigenen Inszenierungen zu verlieren.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 16. August 2020 2020-08-16 13:02:03