Akribisch, spannend und der Zeit genau entsprechend
Es beginnt kurz nach 1918. Räterepublik, Absetzung der Monarchie, Kurt Eisner
ist Chef der Regierung in München mit seiner USPD. Welche die Wahl krachend
verliert. Auf dem Weg, seinen Rücktritt mitzuteilen, wird Eisner erschossen.
Soweit die Historie, die Robert Hültner im ersten Band seiner Romane um den (da
noch) Kriminalinspektor Paul Kajetan, Der in München, später aber vor allem im
Umland, Ermittlungen in Mordfällen nachgeht, die alle auf den ersten Blick
relativ klar oder einfach unlösbar erscheinen, aber immer überraschende
Wendungen nehmen und den Leser, unmerklich fast durch die hohe Erzählkunst des
Autors, mehr und mehr wie in einen Sog in die jeweiligen Ereignisse
hineinzieht.
Mit einer zentralen Figur, die stur, aber auch gebrochen, fast einsiedlerisch,
aber irgendwie auch Liebe suchend sich darstellt. Einer, der nicht locker
lässt, aber bei Weitem nichts von einem klassischen Helden mit markanten
Gesichtszügen und athletischem Körper besitzt und auch nicht so überlegen,
vorausschauend und kombinationssicher wie ein Sherlock Holmes ist. Einer, der
danebenlangt, das Herz immer auf dem rechten Fleck trägt, sich nicht
abschütteln lässt, Gefahren für sich selbst meist ignoriert und dennoch auch
schlotternd vor Angst anzutreffen ist in manchen Momenten.
Und einer, der vom ersten Buch an, Schritt für Schritt, auch unter die Räder
der Zeit gerät. In der hinter den Kulissen so manche Großkopferte,
vermeintlich aufrechte Vorgesetzte, vermeintlich bauernschlaue Dorfbewohner oder
vermeintlich ehrbarer Adel sich, Schritt für Schritt, von einer neuen
"Bewegung" einfangen lassen. Die zwar keine besonderen Erfolge bei
Wahlen oder Putschversuchen vorzuweisen hat (im Gegenteil), aber in der
äußeren Unterschätzung einen passenden Deckmantel findet, sich Personen in
zentralen Schaltpositionen der Gesellschaft zu versichern oder Getreue in solche
Positionen zu bringen.
Was nicht nur in den großen Linien zeitgeschichtlich spannend zu lesen ist,
sondern von Hültner mit spielerischer Leichtigkeit und immer passendem Stil auf
das einzelne Leben herunter gebrochen wird. Nicht nur, was Kajetan angeht, auch
in denen, denen er begegnet, leuchten die markanten Charakteristika der Zeit
selbst im persönlichen Leben hindurch. Die große Inflation und
Arbeitslosigkeit, Kajetan selbst ist betroffen und hervorragend umgesetzte
Figuren mit ihm, die dem Leser Lokalkolorit und intensive emotionale Nähe zu
den Ereignissen ermöglicht.
Sei es auf dem Dorf, wo sich hier und da der "Over-Tourismus" bereits
ankündigt und von dem ein oder anderen umgehend als Geschäftsidee ohne Skrupel
umgesetzt werden will. Oder wenn aufrechte Adlige und
"Militär-Helden" zu sterben haben. Wegen Gier, hier und da auch, weil
sie zu viel wissen über die wahren Hintergründe der
"EK-Verleihungen" an Adolf Hitler.
Fazit
Armut und Dekadenz, ideologische Härte und liberale Gesinnungen, Rot gegen
Schwarz, der Versuch, in all dem Mensch zu bleiben und die eigenen Werte nicht
hinten über fallen zu lassen, gepaart mit durchweg interessanten, verwickelten
und mit überraschenden Wendungen versehenen Fällen (auch wenn nach 2-3 Bänden
ein gewisses System dem Leser langsam vertraut wird und er jeweils weiß, wem
von den Figuren er nicht vertrauen sollte), all das macht die Kriminalromane der
Jahre zwischen 1919 bis in die dreißiger Jahre des Jahrhunderts hinein überaus
lesenswert, interessant und mit einem Einblick versehen, der durchweg von der
akribischen Recherche und der Nähe des Autors zum damaligen Zeitgeschehen
kündet.
Eine sehr empfehlenswerte Lektüre, Band für Band.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 16. August 2020 2020-08-16 12:55:36