Sorgsame und inspirierende Betrachtung
"Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
Wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister
aus Deutschland".
Berühmte Zeilen eines berühmten Gedichts, welches Wolfgang Emmerich als
"Jahrhundertgedicht" bezeichnet hat, "ein Gedicht, das die
grundlegende Erfahrung des 20. Jahrhunderts in sich aufnimmt und
weitergibt". Wie aber gar nicht so selten bei "geflügelten
Worten", die auf ihre Weise Allgemeingut geworden sind, die Entstehung der
Zeilen, die unmittelbare Wirkung und der spätere Werdegang verbleiben doch im
Ungefähren in nicht wenigen Hinsichten.
Eine Lücke, die Thomas Sparr mit seinem ruhig verfassten, sehr kundigen und
sehr verständlichem Werk nun umfassend schließt. In dem es ihm auch gelingt,
den Leser an den Ursprung zurückzuführen und jene "Lyrik nach
Auschwitz" oder den Zusammenhang mit der Verarbeitung des Holocaust aus
ihrer Interpretation späterer Zeiten und vielen Linien der Wirkungsgeschichte
auch ein stückweit herauszunehmen und sich damit "ohne Ballast" Paul
Celan und seinem Gedicht auch nähern zu können.
So kreist Thomas Sparr in seiner systematischen Betrachtung des Gedichtes in
bester Weise auch um die Fragen des historischen Kontextes, um die weiter
reichende Wirkung der "Todesfuge" über Deutschland hinaus und nimmt
ebenso an passenden Orten im Werk die Verfolgungsgeschichte der Familie von Pau
Celan mit in den Blick. Und lässt dem Leser in all diesen Betrachtungen dennoch
einen breiten Spielraum für persönliche Gedanken und Wirkungen der Zeilen.
Eine endgültige Deutung ist schlich nicht möglich, wie Sparr nüchtern
konstatiert.
"Sein ganzes Werk wendet sich gegen solche Eigentlichkeit".
Und so folgt Sparr Paul Celan Schritt für Schritt auf dem Weg hin zum Gedicht,
folgt dem Gedicht in seiner Wirkung und verbindet dies mit einem wesentlichen
Moment des Schaffens Celans, für den Daten und Geographie eine zentrale Rolle
gespeilt haben im Zuge der "Poetik der Orte und Daten" Celans. So gibt
Celan selbst den Weg mit vor, im Gedicht auch die Essenz seines konkreten Lebens
mit einfließen zu lassen und damit durch das Gedicht hindurch auch den Mann und
Menschen Paul Celan mehr und mehr fassen zu können. Ein Prozess, den der Leser
mit Freude begleitet und den Sparr in bester Weise vor Augen legt. Was damit
auch zu einer deutlich erkennbaren biographischen Abhandlung üb Paul Cezan und
die Seinen selbst führt.
Fazit
Somit bietet die Lektüre nicht nur den Gewinn, die "Todesfuge" besser
verstehen und einordnen zu können, sondern eröffnet auch den Blick für das
Zeitgeschehen selbst, die gesellschaftlichen Strömungen der Jahrzehnte nach
1945 und die Welt der Literatur jener Zeit in vielfältigen Querverbindungen.
Eine sehr empfehlenswerte Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 04. Mai 2020 2020-05-04 09:39:51