Starker Anfang, starkes Ende, leicht abfallende Mitte
Es ist ein interessantes, in der Form (dem Inhalt dann geschuldet) nicht einfach
im roten Faden zu verfolgendes Thema mit ebenso spannenden Folgerungen, welches
Blake Crouch in einfacher und gerader Sprache dem Leser vor Augen führt. Was
ist Realität? So könnte man die leitende Frage im Hintergrund des Thrillers
auch formulieren.
Persönliche, subjektive Erinnerungen machen die Realität aus. So muss man am
Ende gar keine Zeitlinie verschieben, keine Zeitmaschine bauen, um durch anders
gelagerte Erinnerungen, von außen implementiert, das Ganze, eigene Leben ein
wenig oder gar radikal zu verändern, anders zu erleben.
Wobei, und da liegt eine gewisse rationale Schwäche im Geschehen im Thriller,
am Ende ja zwar subjektiv sich anders erinnert werden könnte, das aber dann
doch wohl vom "realen Alter" her. Dass die Protagonisten im Thriller,
allen voran Detektive Barry Sutton, ganze Jahrzehnte "neu" erleben
kann, das erschließt sich dem Denken nicht ganz. Nimmt man dies aber einfach
erst einmal hin, entwickelt sich eine ganz eigene Dynamik der Ereignisse, die
vor allem dann spannend und temporeich werden, wenn
"Erinnerungslinien" zu jenem Zeitpunkt wieder vorrücken, an dem jene
"neuen Erinnerungen" auf den Weg in die Vergangenheit geschickt
wurden.
Dass dabei Helena Smith, Neurowissenschaftlerin, etwas ganz Konkretes,
wohltuendes für ihre Mutter im Sinn hatte, dass natürlich immer wieder
Menschen ins Spiel kommen, die ganz eigene, vom Machtinstinkt geleitete
Interessen in den Vordergrund stellen und dass zudem jener entscheidende Moment,
an dem "Erinnerungen heraus gefischt" werden können ein ganz
besonderes, gefährliches Setting voraussetzen, all das gibt dem Thriller dann
die innere Reibung und Spannung unter den verschiedenen Interessenslagen.
Mehrere Tode eingeschlossen, für die es dann veränderte Erinnerungen anderer
Bedarf, um noch mal durchstarten zu können mit einer zweiten, dritten oder auch
vierten Chance.
Fazit
All das bedarf zum einen einer gewissen Freude an der phantasievollen Lektüre
an sich, die, wie erwähnt, nicht immer dem strukturierten Denken folgt und, zum
anderen, auch eines mittleren Teils des Thrillers, der phasenweise sehr breit
angelegt weit in die Lebensgeschichten, Erinnerungen und damit in die Motive der
Hauptpersonen einführt. Dennoch, Crouch versteht es, gradlinig zu schreiben und
sein auch philosophisches Thema mit gut gesetzten Action-Elementen zu paaren, so
dass am Ende eine anregende, durchaus Gedanken anstoßende Lektüre mit einem
ebenso gut gestalteten Finale genossen werden kann. Verbunden mit Nasenbluten,
falschen Erinnerungen, zerbrechenden Personen und mehr und mehr einer ganzen,
irritierten Welt.
"Und was ist mit diesem Leben? Hat es keinen Wert für Sie?" - was
tatsächlich eine der entscheidenden Fragen für den Verlauf der Ereignisse sein
wird.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 23. April 2020 2020-04-23 11:37:31