In Kauf genommene Justizirrtümer
Liest man sich im Buch in Ruhe durch, aufgrund welcher zweifehlafter
"Kompetenzen" und "Methoden" vor Jahrzehnten Quincy Miller
zum Tode verurteilt wurde (und dieser Mann steht in neuen Grisham ja nur als
Spitze des Eisbergs für hunderte, tausende andere verurteilte Menschen im
Rechtssystem der USA), dann dankt man auf den Knien dafür, diesem System dort
nicht ausgeliefert gewesen zu sein. Hanebüchen ist es, was da zu langjährigen
Haftstrafen oder gar der Verurteilung zum Tod führte und sicher heute noch
führt. Schnell geht das und der Weg zurück ist lang. Jahre und Jahrzehnte
"schmoren" nicht wenige in ihren Zellen, selbst wenn, wie bei diesem
Fall schnell auf der Hand, die Beweismittel ein Witz und die Herleitungen der
Urteile schlampig vonstatten gingen.
Im Stil eher dokumentarisch (bis auf wenige, durchaus spannend gestaltete
Bedrohungsszenarien und bis auf den Gang hinein in ein heruntergekommenes Haus,
welches die Bewohner des kleinen Rotes tunlichst weiträumig meiden), greift
Grisham Tatsachen auf, die er in ruhigem, eher nüchternem Stil vor den Augen
der Leser aufrollt. Und auch wenn das insgesamt doch etwas trocken daherkommt
und die klassischen Zutaten von Action, Spannung und oft lebendigem Geschehen
über weite Strecken in diesem neuen Werk fehlen, hoch interessant ist es doch
und die Stärke Grishams, seinen Personen Konturen und eine differenzierte
Gestaltung zukommen zu lassen, lassen den Leser schnell emotional nahe
herankommen an Cullen Post, den materiell unsicher lebenden, aber in seinen
Überzeugungen sehr gefestigten Anwalt.
Einer, der sein Leben einer Organisation der Hilfe für zu Unrecht verurteilter
Straftäter verschrieben hat. Der, das zeigen die beiden Nebenerzähllinien, die
den "großen Fall" des Quincys Miller verlassen und damit das
Geschehen auch auflockern, nicht immer auf sympathische Verurteilte treffen
lässt (und man muss ja auch nicht jeden Fall annehmen und verfolgen, bei der
vielfachen Not, die in dieser Beziehung in den Gefängnissen der USA herrscht).
Wobei sowohl die menschliche Komponente der handelnden Protagonisten den Leser
ein nimmt, wie auch die erzählerisch gelungene und eben nicht auf jede
Einzelheit detailliert eingehende Schilderung der Beweismittelfindung und der
Bewertung jener Beweismittel.
Alles in allem ein Buch mit Substanz und eine gründlich und ruhig erzählte
Geschichte, die, nicht zum ersten Mal, beim Leser fundierte Zweifel an der
"Gerechtigkeit" der "Rechtsprechung" in den USA aufkommen
lassen und, vor allem, die Erschwerung, solche Fälle noch einmal in Ruhe
aufnehmen und verhandeln zu können deutlich in den Raum rückt,
Fazit
Mit einem Personal, dass, wie immer bei Grisham, weitgehend durchaus Freude
macht. Vom "alternden Buddy" bis hin zum ehrgeizigen, über wenig
kompetenten Staatsanwalt, zeigt Grisham die Vielzahl der persönlichen Motive
hinter den Handlungen auf und liefert eine interessante Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 29. März 2020 2020-03-29 15:27:15