Brigitte Seebacher hat eine Biographie über ihren früheren Ehemann
geschrieben, die ganz offensichtlich zwei Ziele hat: zum einen möchte die
gelernte Historikerin - Spezialgebiet ist die Geschichte der Arbeiterbewegung -
Willy Brandts Leben und Politik erläutern. Andererseits ist Frau Seebacher als
letzte Ehefrau Brandts aber auch subjektiv an dem Geschehen beteiligt. Mit ihr
hat Willy Brandt gesprochen, Frau Seebacher hat Willy Brandt seit 1978 stark
beeinflusst und geprägt.
Beide Ansprüche sind meines Erachtens unerfüllbar. Die bemühte Sachlichkeit
der Historikern - unter anderem verwaltet Frau Seebacher das Willy-Brandt-Archiv
- kollidiert immer wieder mit den (verletzten?) Gefühlen der Ehefrau. Was soll
aus mir werden? fragt sie zu Beginn des Buches um dann zu antworten: Dann
schreibst Du ein Buch.
Die Subjektivität kommt insbesondere in den Betrachtungen über die
Lebensgefährten zum Ausdruck - außer Helmut Kohl und Gorbatschow kommt niemand
gut weg - insbesondere die "Enkel" und "Söhne", aber auch
die Mitglieder der Troika - Schmidt und Wehner - bekommen ihr "Fett"
ab.
Besonders einseitig aus meiner Sicht das Kapitel "Nach Moskau:
Exkurs", in dem Wehner die Hauptschuld am Rücktritt Brandts zugeschoben
wird. In Anlehnung an russische Quellen - die von ihr nicht bezweifelt werden -
beschuldigt sie Herbert Wehner, mit Honecker und Moskau ein Komplott zum Sturz
Brandts betrieben zu haben und wertet die ihr zur Verfügung gestellten Archive
ziemlich unkritisch aus. Hermann Schreiber hat in seinem Buch "
Kanzlersturz auf die begrenzte
Aussagekraft der Moskauer Quellen hingewiesen. Ich kann dies selber nicht
beurteilen, da ich die Quellen nicht kenne, bin aber der Auffassung, die
Fokussierung auf Herbert Wehner, dessen Lebensleistung sie nicht gerecht wird -
verstellt den Blick auf weitere Ursachen von Brandts Rücktritt, die Seebacher
zwar benennt, aber doch nur am Rande erwähnt: die innenpolitische Krise nach
1972, der Ölpreisschock, die Desillusionierung über mangelnde Fortschritte der
Ostpolitik, die Wahlen in Hamburg und der Streik von Fluglotzen und ÖTV.
Schöllgen hat in seiner Brandt-Biographie zu recht erklärt, der Fall Guillaume
sei doch nur der Anlass, nicht die eigentliche Rücktrittsursache gewesen.
Frau Seebacher kann ihre diesbezüglichen Anschuldigungen nicht belegen und
arbeitet meines Erachtens mit dem Mittel der Unterstellung und Insinuation - ein
harter Vorwurf, den aber andere Rezensenten der Autorin - meines Erachtens zu
recht - ebenfalls gemacht haben.
Am meisten stört mich jedoch, dass die Autorin hier einen Absolutheitsanspruch
erhebt, so - wie sie es schildere - seien die Ansichten Willy Brandts. Dass sie
die Leistung von Rut Brandt, die insbesondere Peter Merseburger in seiner
Brandt-Biographie lobend erwähnt, - Rut Brandt wird namentlich nur auf S. 165
und 166 erwähnt - nicht würdigt, mag aus der subjektiven Sicht Seebachers als
neuer Ehefrau Brandts, die die Vorgängerin aus ihrer Erinnerung streichen
möchte, nachvollziehbar sein; nicht aber aus Sicht der Historikerin.
Willy Brandt war eine differenzierte und - bei allen Grundsätzen in der Außen-
und Ostpolitik - doch eine Persönlichkeit, die ihre Standpunkte veränderte -
von Konstanz kann - so die Brandt-Biographen Schöllgen und Merseburger völlig
zu recht - in seinen politischen Ansichten nicht gesprochen werden. Genau diesen
Eindruck erweckt Brigitte Seebacher jedoch. Sie verabsolutiert Willy Brandt.
Warum etwa verweigerte sie Rut Brandt die Teilnahme an der Beerdigung ihres
früheren Gatten - wie Merseburger treffend bemerkt? Warum durften bestimmte
Personen nicht von ihm Abschied nehmen? Nur weil Willy Brandt nicht mehr die
Kraft hatte, sie zu empfangen? Zweifel - im Sinne Merseburgers - scheinen mir
hier angebracht zu sein.