Als erfahrener Höhlentaucher ist James Tighe der ideale Bewerber für eine
Weltraum-Mission; auch unter beengten, gefährlichen Bedingungen bleibt er
gelassen und bringt sein Team heil wieder an die Oberfläche. Im Jahr 2032
bedroht der Klimawandel die Weltwirtschaft bereits in einem Umfang, der bei
milliardenschweren Investoren die Gier nach unbegrenztem, möglichst
klimaneutralem Wachstum weckt und nach Bodenschätzen ferner Planeten und
Asteroiden. Als James (JT) für eine Mission auf dem Gebiet des
Asteroiden-Bergbaus als Teil einer cislunaren Wirtschaft angeworben wird, nimmt
sein Team von Spezialisten aus aller Welt zunächst an, dass jeder von ihnen
wegen seltener Skills als Experte gefragt ist. Doch schon bald fragt man sich
als Leser, wofür bei diesem Einsatz ein kollegialer und dabei doch
unangepasster Typ wie James vorgesehen ist. Wenn schon die hochkarätigen
Wissenschaftler oder Expeditionsleiter nicht hinterfragen, wessen Interessen ihr
Einsatz dient, und keinen Funken politisches Wissen mitbringen, kann man das
von einem Tramp wie James kaum erwarten. Neben Terrafarming und künstlicher
Schwerkraft wird es in Suarezs naher Zukunft um nicht weniger gehen als die
Entscheidung, wer zukünftig den Weltraum beherrscht.
Die Idee, Menschen gemeinsam mit Robotern im Asteroiden-Bergbau einzusetzen,
scheint zunächst plausibel. Allerdings nur so lange, bis man sich fragt, ob
eine so aufwendige Mission sich für ein paar seltene Erden auf einem Asteroiden
wirtschaftlich überhaupt lohnen kann – und welche Zeiträume dafür geplant
sind. Als in James ethnisch diversem Team die ersten Zweifel am Projekt
aufkommen, scheint es beinahe zu spät zu sein.
Mit James Tighe hat der "Meister des High-Tech-Thrillers" einen
glaubwürdigen Helden mit Ecken, Kanten und schwieriger Vergangenheit
geschaffen, der die technischen Möglichkeiten seines Jahrzehnts nicht
überschätzt, aber ein wenig zu anfällig gegenüber Schmeicheleien seiner
Auftraggeber wirkt. Hinreißend charakterisiert finde ich den Gegenspieler in
Person des Auftraggebers Nathan Joyce, der mit seinen Talenten in der
Organisationspsychologie bereits ein Vermögen verdient haben könnte. Die
NASA-Beamtin Erika Lisowski und der junge Anwalt für Weltraumrecht Lukas Rochat
haben gegenüber den beiden starken Figuren nur geringe Chancen, die Sympathie
von Suarezs Lesern zu gewinnen. In leicht sarkastischem Ton streift Suarez nicht
nur Eigentümlichkeiten des Internet-Zeitalters, sondern gibt Einblick in
psychologisch hoch interessante Teamprozesse.
Fazit
Delta-V hat mich als erster Roman, den ich von Suarez gelesen habe, positiv
überrascht. Wer sich im SF-Thriller neben differenziert gezeichneten Figuren
und detailreichen Beschreibungen auch für den politischen und wirtschaftlichen
Hintergrund interessiert, sollte hier zugreifen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 02. Januar 2020 2020-01-02 10:06:34