Sozialkritische Betrachtungsweisen der Gesellschaft sind in der heutigen Zeit
keine Seltenheit. Auch wenn das vorliegende Buch von Hans R. Fischer diesem
Genre entspricht oder nahekommt: es ist eine echte Rarität! Es handelt sich
nämlich um eine zeitgenössische Schilderung der Menschen am Rande der
Gesellschaft im späten 19. Jahrhundert, speziell in der Reichshauptstadt
Berlin. Der Autor, ein Journalist, taucht "hinab" in die Sphären der
Armen und Elenden der glitzernden und boomenden Großstadt. Er selbst hat Armut
kennengelernt und musste seinen Weg zu einem, schlußendlich angesehenen,
Journalisten als Autodidakt hart erkämpfen.
Eine Besonderheit also, denn der Autor kennt das Metier nicht nur am eigenen
Leibe, sondern er betrachtet den Umgang mit dem Rand der Gesellschaft, den Armen
und Elenden, aus zeitgenössischer Sicht. Und er bedient sich zu diesem Zweck
damals ungewöhnlicher Methoden: heute würde man von investigativem
Journalismus sprechen. Er selbst recherchiert, zumindest für einen Teil seiner
Betrachtungen, indem er sich als Bettler verkleidet in die Obdachlosenasyle
begibt und die Hoffnungslosigkeit hautnah erlebt und erfährt.
Er stellt den Lesern die städtischen sozialen und karitativen Auffangstätten
ausführlich dar: staatliche und private Asyle für Menschen ohne Wohnsitz,
Häuser für "gefallene" Mädchen und Frauen verschiedenen Alters,
Heime für Kinder, Irrenanstalten und Krankenhäuser für arme und verlassene
Menschen, die vom Leben nichts mehr zu erwarten haben und sich oftmals im
wahrsten Sinne des Wortes in den letzten Zügen befinden.
Fazit
Hans Richard Fischer war erst 24 Jahre alt als er loszog in Berlin. Er
beschreibt exakt und einfühlsam was es bedeutet, gesellschaftlich an den Rand
gedrängt zu sein. Dass es in vielen Fällen nahezu aussichtslos war wieder
Tritt zu fassen und in die Mitte der Gesellschaft zu gelangen. Fehlende
Möglichkeiten, fehlende Akzeptanz und schwindender Mut die erforderlichen
Schritte anzugehen. Die schillernde Seite der Gesellschaft einerseits und eben
die Gegenseite der Armen und Elenden, werden in ihrem Kontrast im Rampenlicht
einer Großstadt eindringlich geschildert. Gerade weil es eine zeitgenössische
Schilderung ist, rührt sie besonders an. Ja: an Schreibstil und Sprache muss
man sich gewöhnen. Dennoch ist die Lektüre dieser Schrift ein Wachrüttler und
ein Gewinn für den Leser und von daher eine absolute Leseempfehlung!
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
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veröffentlicht am 03. Januar 2020 2020-01-03 21:27:26