Im Fernsehen lief die hervorragende historische Verfilmung in sechs Teilen
"Sachsens Glanz und Preußens Gloria" in einer Wiederholung. Dies war
Anlass für mich, die dazugehörigen Bücher des Sachsen-Zyklus um August den
Starken des Polen Jozef Ignacy Kraszewski, auf der die sechsteilige Filmreihe
beruht, erneut zu lesen. Alle die Bücher des 1812 geborenen und 1887
gestorbenen "Vaters des polnischen Romans" sind ausgesprochen spannend
zu lesen und heute noch eine Fundgrube für Historiker jener Zeit. Nicht zu
Unrecht wird er meines Erachtens mit Honoré de Balzac und auch Stendhal, den
großen französischen Romanciers, verglichen. Seine Romane "August der
Starke", "Gräfin Cosel", "Brühl" und "Aus dem
siebenjährigen Krieg" gehören zu den meistgelesenen Büchern dieses
Anhängers der polnischen Unabhängigkeitsbewegung. Dem Leipziger LeiV Verlag
und dem Aufbau-Verlag gebührt das Verdienst, Kraszewskis Werke neu aufgelegt zu
haben.
Der vorliegende Roman "Brühl" erzählt den Aufstieg des langjährigen
Premierministers Sachsens unter August III. und endet mit der Entmachtung seines
langjährigen früheren Freundes und Widersachers Sulkokowski, dem Favoriten des
trägen Thronfolgers und späteren Königs Friedrich August II. Durch List und
Intrige erreicht es der durchaus fähige bildschöne Brühl, sich bei Friedrich
unentbehrlich zu machen und aufzusteigen. Mit der Entmachtung Sulkowskis 1746
beginnt seine Herrschaft, die er bis zum Tode seines Gönners Friedrich Augusts
II. 1763 (Brühl selbst stirbt drei Wochen nach dem König) ausübt. 1763 ist
zugleich das Jahr des Endes des siebenjährigen Krieges, in dem Preußen und
Brühls Gegner, Friedrich der Große, als Sieger hervorgeht. Diesen Teil ab 1746
schildert Kraszewski in dem Folgeband: "Aus dem siebenjährigen
Krieg".
Nun entwirft Kraszewski, der - in der Tradition des Historienromans von Walter
Scott sehr breit und ausführlich schreibt - kein angenehmes Bild des
Emporkömmlings Brühl. Brühl-Biograph Walter Fellmann gibt allerdings in
seinem hervorragenden Nachwort zu bedenken, dass das negative Brühl-Bild,
welches im 19. Jahrhundert unumstritten war, durch die Sicht der preußischen
Sieger bestimmt worden ist. Heutige Brühl-Biographen zeichnen ein
differenzierteres Bild dieses durchaus fähigen Politikers, der fleißig und
organisatorisch talentiert an der Seite eines trägen Kurfürsten Sachsen
regieren mußte und an der Übermacht Friedrichs II. von Preußen schließlich
scheiterte. "SO er die Macht dazu besaß, bewegte er einiges: Die Meißener
Porzellanmanufaktur, deren Direktor er war, erlebte eine Blütezeit, und in
Forst und in Pförten, dem Kern seines Privatbesitzes, entstand eine
leistungsfähige Tuchproduktion. Daß den Wettinern nach dem Tode Augusts des
Starken die Krone Polens blieb, war wesentlich Brühls Verdiensts. Er galt in
Europa als fähiger Diplomat, nur versagte seine Diplomatie letztlich, und das
allein zählte. Sachsen war unter den Druck erstarkter Nachbarstaaten geraten,
besonders Preußens, das unter Friedrich II. zur "Abrundung des
Staates" nach der Einverleibung Sachsens strebte. Brühl...war gegen den
mit einsernem Besen herrschenden Preußenkönig chancenlos. Er maßte sich ein
Amt an, das ihn überforderte." Diese - zutreffenden - Informatonen Walter
Fellmanns muß man bei der Lektüre berücksichtigen, um ein differenziertes
Bild Brühls zu bekommen.
Fazit
Aber insgesamt ein fesselnder historischer Roman in der Tradition Walter Scotts,
der - obwohl breit geschrieben - äußerst spannend zu lesen ist.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 29. Mai 2004 2004-05-29 17:26:36