Der kleine Bär Joschi geht in die erste Klasse einer Bärenschule und wird von
seinen Eltern geliebt und umsorgt. Vater Bär spült das Geschirr, Mutter Bär
arbeitet im Garten, das Bärenbaby trägt sie dabei auf dem Rücken. Joschi und
sein bester Freund Toni spielen leidenschaftlich gern Computerspiele. Wie
hingerissen sie dabei sind, wird an Tonis unbemerkt heraushängender
Zungenspitze deutlich. Joschis Eltern kontrollieren das PC-Spielen allerdings
streng. Wenn am Morgen die Freunde auf den Schulweg verabschiedet werden, betont
Mama Bär ausdrücklich, dass sie mit Fremden weder sprechen noch mit ihnen
mitgehen dürfen. Als Toni bedrückt wirkt und immer seltener zu Joschi zum
Spielen kommt, begründet er das mit einem Geheimnis, das er nicht verraten
darf. Auch Joschis Mutter ist bereits aufgefallen, dass Toni sich kaum noch
blicken lässt. Sie betont am Abend beim Gutenachtsagen, dass schlechte
Geheimnisse verraten werden müssen und keine Geheimhaltung verdienen. Joschi
hat inzwischen zufällig Tonis Geheimnis entdeckt – und auch er gerät in eine
Situation, in der es ihm schwerfällt, sich einem Erwachsenen anzuvertrauen. Als
Vater Bär erfährt, was vorgefallen ist, handelt er sofort. Joschi wird für
den Mut gelobt, seine Angst vor Strafe zu überwinden und bei Erwachsenen Hilfe
zu suchen. Zum Glück hat die Bärenmama ja betont, dass Hilfe für einen Freund
in Not wichtiger ist, als ein Geheimnis für sich behalten.
Brigitte Enders Bilderbuch zur Missbrauchsprävention vermittelt eine sehr
zugewandte, fürsorgliche Atmosphäre in Joschis Bärenfamilie, die ein
Gespräch über ein "böses" Geheimnis erleichtern kann. Die spürbare
Anteilnahme von Joschis Mutter an Tonis Kummer zeigt beispielhaft ein offenes
Gespräch zwischen Kind und Eltern ohne Angst vor Strafe. Problematisch finde
ich dagegen das Herunterbrechen des Themas Missbrauch auf eine Tierfamilie.
Eltern und Angehörigen gefällt das meist, es spricht jedoch nicht alle Kinder
an. Mit der Warnung vor "Fremden" haben Joschis Eltern in gutem
Glauben eine irreführende Botschaft ausgesendet und ihre Sorgen nicht direkt
ausgesprochen. Zum Happy-End der Geschichte fehlt mir die Einsicht der
Bäreneltern, dass auch sie offen mit ihren Kindern sprechen müssen.
Fazit
Warme Farben vermitteln neben der Zugewandtheit der Bäreneltern eine heimelige
Atmosphäre. Die Körpersprache der Kinder zeigt jedoch auch eindringlich, wie
stark sie das Geheimnis eines sexuellen Übergriffs bedrückt. Für die
Zielgruppe ab 4 Jahre ist der "Fremde", vor dem sie gewarnt werden,
oft noch ein abstrakter Begriff, der sie eher verwirrt. Ich kann mich noch gut
erinnern, wie ich mit 3 Jahren zwar gern Eltern und Erziehern gehorchen wollte,
das Sprechverbot jedoch völlig falsch verstanden habe. Zum Thema
"schlechte Geheimnisse" eignet sich das Buch für Kindergartenkinder
– es sollte jedoch nicht das einzige Buch-Angebot zur Missbrauchsprävention
sein.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 19. Oktober 2019 2019-10-19 13:20:31