Eine interessante und ungewöhnliche Geschichte seiner Familie (oder besser
gesagt: den mütterlichen Teil seiner Familie) beschreibt der ehemalige
finnische Diplomat René Nyberg in seinem vorliegenden Buch. Die Idee zur
Forschung nach dem Stammbaum seiner Familie bekam er aufgrund eines Zufalls.
"Mutter Jüdin, aber hat die Deutsche Schule besucht." Diese Notiz,
die dem Autor im finnischen Aussenministerium in die Hände fiel, weckte in ihm
die Neugier, genauer nachzuforschen. Das Ergebnis seiner Nachforschungen
präsentiert er dem interessierten Leser im vorliegenden Buch. Der Geschichte
der Familie nachzugehen war alles andere als einfach. Seine Mutter wurde aus
ihrer Familie verstoßen, weil sie, als Tochter einer orthodox-jüdischen
Familie einen Nicht-Juden heiratete und zudem zum evangelisch-lutherischen
Glauben konvertierte. Von da ab war sie für ihre Eltern und ihre Brüder
symbolisch "gestorben".
Die wechselvolle Geschichte der Familie Tukatsier ist die Geschichte einer
jüdischen Familie, geprägt von geografischer "Unruhe", was die
Aufenthalts- und Lebensorte anbelangte. Nicht untypisch in der Zeit zwischen
beiden Weltkriegen und zwischen den Ideologien des nationalsozialistischen
Deutschen Reiches und der restriktiven Politik der Sowjetunion unter Stalin. So
erfährt der Leser viele interessante Details zum Leben der Juden in Osteuropa
und insbesondere in den baltischen Staaten (Estland, Litauen und Lettland).
Hinweise zu den historischen Entwicklungen in diesen Ländern vermitteln ein
sinnvolles Hintergrundwissen.
Ebenfalls leider nicht untypisch für Menschen jüdischen Glaubens in der Zeit
um den Zweiten Weltkrieg, zeigt die Familiensaga alle Facetten: einige sterben
(fallen den Exzessen der SS, der Reichswehr oder der Roten Armee zum Opfer),
einige emigrieren nach Israel oder in die Sowjetunion, andere kehren später
wieder zurück. Die Familie lebt weit zerstreut und dennoch gelingt ein
Wiedersehen in der Nachkriegszeit, zumindest für einen kleinen Teil der
Familie.
Fazit
In gut lesbarer Form präsentiert der Autor eine Fülle bestens recherchierter,
vielfältiger und beeindruckender Details. Für den Leser öffnet sich eine
fremde und spannende Welt. Tief beeindruckend, mit welchem Mut und
Überlebenswillen die jüdischen Bürger ihr tägliches Leben gestalteten. Ohne
jegliche Sicherheit: was wird der morgige Tag bringen?
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
[Profil]
veröffentlicht am 21. Juli 2019 2019-07-21 19:39:32