Auf den ersten Blick wirkt die Umschlaggestaltung trist - sie soll es wohl auch
sein. Das Thema des Buches lautet "Vergessen". Dabei ist es bei
genauer Betrachtung ein Buch gegen das Vergessen - ein wichtiger Beitrag zu
einem selten angesprochenen, düsteren Thema in der Ära sowjetischer Macht
unter Stalin. Gessen als Autorin und auch der sie begleitende Fotograf Friedman
sind gebürtige Sowjetbürger. Ihr Lebensweg führte sie ins Ausland und heute
leben beide mit ihren Familien in New York. Insofern also eine Rückkehr in die
alte Heimat.
Die Autorin erklärt dem Leser zunächst das System der Straflager, die in der
Ära des sowjetischen Diktators Stalin Hochkonjunktur hatten. Menschen
verschwinden spurlos, immer wieder erhalten die Angehörigen Todesmitteilungen
sowjetischer Behörden, die viele Fragen offen lassen. Fragen, die die
Angehörigen nicht stellen konnten, wollten sie selbst nicht in Gefahr
geraten.
Nach dem Tode Stalins, in der Phase des "Tauwetters", gerieten einige
Informationen an Tageslicht. Längst aber nicht alle und so blieben viele
Angehörige nach wie vor im Unklaren über das Schicksal ihrer Verwandten. Der
innensowjetische Umgang mit den Lagern, die Aufarbeitung der Verbrechen erlebte
Phasen der Erhellung, bevor sie wieder im Nichts verschwanden. Eine konsequente
Aufarbeitung und Klärung in der Öffentlichkeit erfolgte zu keiner Zeit. Es
passte vielen Machthabern der Sowjetunion und des heutigen Russland wohl nicht
in das Bild einer Weltmacht.
Gessen und Friedman begeben sich auf die Suche nach den Überresten und treffen
dabei auch eine der letzten Überlebenden. Sie entdecken und dokumentieren ihre
Erkenntnisse. Ein wichtiger Beitrag, denn nicht mehr all zu lange wird es
möglich sein, mit Menschen zu sprechen, die erlebt haben, was in den Lagern
passierte. Menschen, die heute Abstand gewonnen haben - ebenfalls eine
bedrückend Erkenntnis!
Fazit
Es ist eine beschwerliche und Lange Reise, von den Wäldern Kareliens im Westen
bis in den fernen Osten Russlands. Der sachliche, gut zu lesende Text wird
hierbei gekonnt ergänzt durch die eindrucksvollen Bilder des Fotografen.
Oftmals triste Bilder in schwarzweiß. Sie passen jedoch perfekt zu den eher
schwermütigen Erkenntnissen der Recherchen.
Ein informatives und bedrückendes Buch zugleich, das Gessen und Friedman
verfasst haben. Zu einem ungewöhnlichen Thema, das nicht im Blickfeld einer
Öffentlichkeit steht. Um so wichtiger ist es zu Erinnern - gegen das Vergessen!
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
[Profil]
veröffentlicht am 12. März 2019 2019-03-12 07:40:42