»War es ein Gift? War es verboten? Ein unverantwortliches Risiko? Sie wusste es
nicht, doch sie war den ganzen Tag nervös und angespannt, obwohl sie sich
sagte, das sei töricht: Wenn irgendjemand in diesem ganzen Gebäude wusste, was
er tat, dann ihr Chef.« Der Chef ist der Pharmakologe Alfred Hofmann von
Sandoz, der im Jahre 1943 gerade LSD entwickelt und es an sich selbst
ausprobieren will.
Mit einem Prolog, in welchem die Entstehung der künstlichen Droge LSD
geschildert wird, beginnt der neue Roman des amerikanischen Schriftstellers T.C.
Boyle, der just in den vergangenen Tagen seine Lesereise in Deutschland hinter
sich hat. In diesem Roman geht es um Drogen, ein Thema, welches Boyle nicht
gerade zum ersten Mal aufgreift. In den 1960er Jahren machte er selbst seine
Erfahrungen damit und konnte sich erst mit der Schriftstellerei aus diesem Sumpf
befreien. Die Haupthandlung des Romans spielt allerdings nicht wie der Prolog
1943, sondern zwanzig Jahre später in der amerikanischen Gesellschaft. An der
Harvard Universität beginnt Professor Timothy Leary ein Forschungsprojekt mit
der synthetischen Droge. Er möchte in einem groß angelegten Experiment
zusammen mit anderen Dozenten und seinen Studenten positive
Bewusstseinserweiterung nachweisen. Der Roman zeigt den Werdegang des
Forschungsprojektes anhand dreier Protagonisten: Fitz, seiner Frau Joanie und
seines Sohnes Corey. Diese drei sind die Hauptfiguren, die die Handlung
vorantreiben und aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird. Anhand ihres
Schicksals und ihrer Entwicklung begleitet der Leser Learys Projekt. Fitz
möchte sich ganz und gar der Forschung zuwenden, sein erstrebenswerteste Ziel
ist, zum inneren Kreis und Professor Leary, Tim, zu gehören.
All dies wird natürlich extrem spannend von Boyle komponiert. Er zeigt den
schleichenden, nach außen scheinbar harmlosen Prozess, wie jemand, der
eigentlich nur seinen Abschluss, seinen Doktor, seine Karriere machen will,
langsam, aber stetig in eine Sekte hineingezogen wird. Dabei handelt es sich
möglicherweise um gar keine Sekte, sondern lediglich um eine Clique dekadenter
Pseudowissenschaftler, die der Meinung sind, sich mit ihren Gelüsten hinter der
Wissenschaft verstecken zu können. Die Handlung verläuft über einige Jahre,
Zeit genug, um die Hauptfiguren eine Entwicklung durchmachen zu lassen. Sowohl
Fitz als auch seine Frau sind am Ende andere, vertreten andere Ansichten als zu
Beginn des Buches. Man muss sich als Leser im Hintergrund rumorende Spannung
einlassen. Eine rigorosere Entwicklung ist bei ihrem Sohn Corey zu beobachten,
der angefangen im Alter von zehn Jahren die Pubertät durchläuft und als junger
Erwachsener am Ende dasteht. Über dessen Entwicklung stellt sein Vater
plötzlich fest: »Coreys Stimme war tiefer geworden, das Kieksen fast ganz
verschwunden, und in letzter Zeit war Fitz, wenn er ihn sprechen hörte, für
einen Augenblick verblüfft: Es war, als hätte ein Fremder die Gestalt seines
Sohns angenommen.« Gekonnt, aber typisch und erwartbar für Boyle, werden
Vergleiche und Metaphern eingesetzt, um auch jede noch so kleine Plausibilität
in Bildern zu belegen. Am Ende dieses tiefgreifenden Romans über die
menschliche Gesellschaft und wie sie sich in der Umwelt und Natur einrichtet,
steht nicht nur für die agierenden Figuren die Frage: »Wohin führt das alles?
Ist irgendein Ende in Sicht? Können wir uns überhaupt noch als Wissenschaftler
bezeichnen? Was sind wir eigentlich? Mystiker? Partyveranstalter?
Orgienfeierer?«
Fazit
»Das Licht« ist eine empfehlenswerte Fortführung der großen Romane »Drop
City« und »Dr. Sex« desselben Autors.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 24. Februar 2019 2019-02-24 17:02:27