Die ambivalente Haltung zu Italien
Italien, das "Terrain, wo die äußersten Grenzen des großen Schönen und
des großen Fürchterlichen aufeinanderprallen". Das scheint sich in den
Köpfen gerade des Nordens und speziell des "reformierten
Deutschlands" nicht von ungefähr über Jahrhunderte hinweg festgesetzt zu
haben. Von mäßigender Toleranz (die wunderbaren Kunstwerke der Antike und
Renaissance als "Erbe" im Blick auf die (damalige) Gegenwart von
Analphabetentum und Katholizismus mit strenger Hand) bis hin zu blanker
Ablehnung (sehr spannend zu lesen, was sich da alles fast an Haß auf Italien
seit 1800 vermehrt zu Wort meldete) und selbst ein Goethe, der seine
Italienreise als Höhepunkt seines Lebens mit betrachtete, ist nicht frei von
Abfälligkeiten.
Einerseits also "La dolce vita" und ein wenig daran teilnehmen als
kühler und effizienter "Norde" mit München oder gar Bonn als
"nördlichste Stadt Italiens" im Sinn, andererseits massive Ablehnung
gegen den "Schlendrian", die "Bettelei" bis dahin, dass der
ein oder andere bekannte Name (und fast alle, von Heinrich Heine bis Thomas Mann
waren inspiriert von Italien) lieber seine Gattin zu Hause ließ, damit dieser
keine Gefahr von den lauten, schmutzigen und aufdringlichen, bigotten und
sündigen Bewohner des schönen Landes hinter dem Brenner drohte.
"Papismus", "Aberglaube", "Sittenlosigkeit",
Stichworte nicht nur der Zeit um 1800 herum, sondern, wie Bergdolt aufweist, bis
in die Gegenwart hinein mit dem "Nord-Süd-Gefälle", zumindest dessen
Behauptung, in der EU. Dass all dies auch und gerade religiöse Wurzeln besitzt,
dass das "vernünftige, effiziente und bürgerliche Christentum des
Protestantismus" sich massiv gegen das "Welsche, Katholische"
richtete, dass eine "Arbeitsethik", später von Max Weber umfassend
betrachtet und formuliert sich nicht nur aus dem wirtschaftlichem, sondern auch
aus dem künstlerisch-intellektuellem Gefühl der Überlegenheit heraus speiste
("Am deutschen Wesen soll die Welt genesen), auch das ist zwar nicht
unbekannt, aber überaus interessant, es konzentriert und auf den Punkt gebracht
noch einmal sich vor Augen zu führen. Und das dann als Verallgemeinerung weiter
und weiter gesteigert.
Man schätzte "eine modernere, freiheitlichere und bürgerlichere Gestalt
des Christentums" (die im Übrigen überaus passend für die beginnende
Industrialisierung und die Priorisierung von Profiten sich darstellte), wogegen
der "Katholizismus mit einer feudal-ständischen, mittelalterlichen Welt
(und damit Rückschrittlich)" gleichgesetzt wurde. Bis dahin, dass die
ersten Gastarbeiter entsprechend "herablassend" empfangen wurden als
Menschen zweiter Klasse eben, die nur einfachste Arbeiten übertragen bekommen
konnten, auch aufgrund einer (vermuteten) Unzuverlässigkeit im Wesen und in der
Einstellung zur "harten Arbeit".
Arroganz und Verachtung, das ist für Bergdolt eine nicht zu unterschätzende,
deutsche Haltung Italien gegenüber, der er natürlich auch differenziert andere
Haltungen gegenüberstellt und damit aufmerksam macht auf eine wohl
"Grundstörung" des deutsch-italienischen Verhältnisses, derer man
sich ans ich und in ihren Wurzeln bewusst sein sollte für das auch verbindende,
Gemeinsame der Moderne.
Fazit
Ein anregende, nicht immer einfache, teils durchaus auch provozierende Lektüre,
die in sich geschlossen am Ende viele Informationen und Hinweise in sich trägt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 07. Januar 2019 2019-01-07 11:49:36